Superspreader-Event für den Fortschritt

Nachdem die Dell Technologies World 2020 und 2021 Jahr Corona-bedingt nur online stattgefunden hatte, konnten sich Michael Dell und seine Company 2022 in Las Vegas wieder live mit Partnern und Kunden treffen. Der Fokus lag auf der sicheren Multi-Cloud, doch auch im Storage-Bereich gab es zahlreiche Neuerungen.

Beim White House Correspondents’ Dinner feiert sich die Washingtoner Polit- und Medienprominenz Jahr für Jahr einen Abend lang selbst, und jedes Mal liest ein Gastredner den Anwesenden humorvoll die Leviten. Dieses Jahr begrüßte Talk-Show-Host Trevor Noah das Publikum mit den Worten, er fühle sich geehrt, beim „angesehensten Superspreader-Event des Landes“ sprechen zu dürfen, und fragte die Leute, ob sie denn ihre eigenen Zeitungen nicht läsen – schließlich hätten die Medien zwei Jahre lang davor gewarnt, Massenveranstaltungen wie eben diese zu besuchen.

Die IT-Branche wiederum hatte sich in den Pandemiejahren bei ihren Online-Hausmessen stets gerühmt, dass sie es ist, die den privaten und Business-Alltag in Zeiten von Home-Office und Social Distancing reibungslos am Laufen hält, dank all der schönen Tools und Cloud-Services von Web-Conferencing und Online-Collaboration bis hin zu E-Commerce und Video-Streaming. Dennoch: Kaum lassen es die Umstände zu, lädt man wieder zur großen Live-Versammlung mit noch größerer Bühnenshow, und natürlich auch wieder nach Las Vegas, die Glücksspiel- und Event-Betonwüste im auch sonst nicht wüstenarmen Nevada.

Im Rückblick (oder nur Hinblick? Mal abwarten!) auf die Corona-Pandemie stellte Michael Dell zu Beginn seiner Keynote fest: „In den letzten zwei Jahren ist Technologie noch wichtiger geworden.“ Als Referenzkunden schaltete er thematisch passend die Chefin der US-Apothekenkette CVS Health zu, deren 90.000 Beschäftigte Dell mit Online-Workspaces in die Cloud gehievt hatte.

Dann aber richtete Michael Dell den Blick schnell nach vorn, genauer: auf die Multi-Cloud (womit auch Private Clouds und somit Hybrid Clouds gemeint sind) und auf den Netzwerkrand (Edge): „Wir machen den nächsten Schritt nach vorn mit einem Multi-Cloud-Ökosystem, das den Edge umfasst, wo KI Daten über 5G-Netzwerke in hochautomatisierten Umgebungen verarbeitet und bewegt“, sagte er und betone: „Die On-Prem/Off-Prem-Debatte ist vorbei. Die Zukunft gehört der Multi-Cloud, mit Workloads und Daten, die nahtlos über die gesamte Umgebung hinweg fließen.“ 90 Prozent der Kunden unterhalten laut dem Dell-CEO heute bereits sowohl On-Prem- wie auch Public-Cloud-Umgebungen, 75 Prozent nutzen drei oder mehr Clouds.

Der Wilde Westen heißt jetzt Edge

Der Edge, so Dell mit Blick auf die US-Geschichte, sei die nächste „Frontier“, also die nächste zu erobernde Grenzregion, würden doch hier „Daten direkt am Entstehungsort zum Wettbewerbsvorteil“. Er berief sich auf die gern zitierten Gartner-Zahlen, wonach 2025 drei Viertel der Daten außerhalb traditioneller RZs oder Clouds verarbeitet werden sollen. „Und da die Workloads den Daten folgen, werden die verteilten Workloads viel größer sein, als Sie es sich vorstellen können“, so Dell, „und die Angriffsfläche auch.“ Angesichts der digitalen Seuche Ransomware mit durchschnittlichen Kosten von 13 Millionen Dollar pro Vorfall riet er zu Cyberresilienz-Assessments und Air-Gapped-Vault-Lösungen (also physisch und logisch vom Internet entkoppelten Datenarchiven).

In dieser Edge-to-Multi-Cloud-Welt werde Dell all seine Lösungen als Services anbieten, wie bereits letztes Jahr mit „Project Apex“ verkündet. Zugleich will der Konzern mit den Developern Hand in Hand arbeiten: „Der Schwerpunkt vieler Kunden verlagert sich von der Infrastruktur zu den Entwicklern“, so Dell, „und wir stellen uns auf die Entwickler ein, indem wir alle unsere Lösungen API-gesteuert und entwicklerfreundlich machen.“

Natürlich vergaß Michael Dell nicht, die Führungsrolle seines Konzerns hervorzuheben: „Wir sind die Nummer eins in allen Technologiebereichen, vom PC bis zur Cloud. Wir verfügen über die stärkste und stabilste Lieferkette der Branche.“ Zudem verwies er auf die „mehr als 200.000 Partner, die unseren Kunden helfen, Innovationen zu entwickeln, zu lokalisieren und Mehrwert für Unternehmen in jedem Winkel der Welt zu schaffen.“ So sei Dell letztes Jahr um 17 Prozent gewachsen und habe 101 Milliarden Dollar Jahresumsatz erzielt.

Das bei Dell-Hausmessen obligatorische Loblied auf das Fundament des Konzernerfolgs – den PC – übernahm diesmal Chuck Whitten, seines Zeichens Dells Co-COO (doch, das ist sein Titel!). Der „bescheidene PC“, so Whitten, habe in den letzten zwei Jahren stark an Bedeutung gewonnen: „Dieses Gerät ist unser Arbeitsplatz, unser Telefon, unser Videokonferenzsystem, unser Einkaufszentrum und unsere Unterhaltung“.

Ebenso zentral sei er für die Unternehmen: „In der Welt des hybriden Arbeitens und des am härtesten umkämpften Arbeitsmarkts der Geschichte ist dieser PC zu einem sichtbaren Symbol des Engagements eines Unternehmens für Technologie und seine Belegschaft geworden“, so Whitten. „Er ist das Tor zur Mitarbeitererfahrung in der hybriden Arbeitswelt.“

Datenwildwuchs und Multi-Cloud

In dieser Arbeitswelt gebe es zwei ungelöste Probleme, so Whitten. Das erste: „Datenwildwuchs und Datenkomplexität behindern den Fortschritt.“ Zweitens sei die Multi-Cloud noch nicht Standard, dabei gelte doch: „Man braucht die Fähigkeiten des gesamten Ökosystems, um eine moderne IT bereitzustellen.“

Hierzu stellte der Konzern eine Reihe von Cloud-Neuerungen vor. Das Wichtigste in Kürze: Mit CyberSense for AWS kann ein IT-Team laut Dell seine Datenbestände in der AWS-Cloud per KI analysieren und die Recovery beschleunigen. PowerProtect Cyber Recovery soll Gleiches für Azure leisten, die Apex Cyber Recovery Services für lokale Datenbestände.

Project Alpine wiederum erleichtere die Datenmigration und den konsistenten Betrieb in hybriden, also gemischten lokalen und Public-Cloud-Umgebungen, wobei mit Public Cloud AWS und Azure gemeint sind. Eine neue Partnerschaft mit Snowflake erlaube nicht nur die Verlagerung lokaler Daten in die Snowflake-Cloud zur Analyse; zudem könne man erstmals auch Snowflake-Analysen auf Gerätschaft vor Ort durchführen.

In der Keynote des zweiten Hausmessetages hatte COO Jeff Clarke sichtlich Spaß daran, wieder live auf einer Bühne zu stehen: Er streifte demonstrativ einen „Zoom-Konferenz“-Rahmen ab, den er sich für seinen Auftritt umgehängt hatte. Er ließ sich auf der Bühne von einem Kollegen die PC-Neuheiten zeigen: ein Latitude-9330-Notebook, dessen Touchpad integrierte Videokonferenz-Buttons hat, und die Designstudie Luna, mit der Dell auslotet, wie umweltfreundlich ein Notebook sein könnte: Lunas Motherboard hat 20 Prozent weniger Komponenten, alle Bauteile sind leicht zugänglich und somit reparierbar, und bei der Materialwahl achtete man auf Recycling-Fähigkeit. Die Innovationen sollen aber nur teils in echte Produkte einfließen, wie Dell bei der Erstvorstellung verlauten ließ.

Anschließend verkündete Clarke die zahlreichen Storage-News. Auch hier eine Auswahl: Die Software der Storage-Lösungen Dell PowerStore, PowerMax und PowerFlex bietet nun über 500 neue Features. Dies ist Teil des „Project Alpine“, mit dem Dell Objekt-, Block- und File-Storage in die Public Cloud bringen will, um Datenmobilität zu erleichtern. Dell PowerStore werde performanter und tiefer in VMware integriert. Dell PowerMax umfasse nun Funktionen für mehr Resilienz und einfacheren Storage-Betrieb. Und Dell PowerFlex biete künftig einheitliche Block- und File-Funktionen für die Konsolidierung herkömmlicher und moderner Workloads, zudem File-Support für alle großen Container-Orchestrierungsplattformen.

Solar Community Hubs

Mit Project Luna und herstellerübergreifenden Recycling-Services beweist Dell Engagement für klima- und umweltgerechtes Wirtschaften. Auf seiner Hausmesse erklärte Michael Dell zudem, man werde die Dell Solar Learning Labs zu Solar Community Hubs erweitern. Diese Hubs sind mit Sonnenernergie angetriebene Edge-Rechenzentren in entlegenen Regionen, verwaltet von der örtlichen Kommune (siehe Bild unten).

Dell arbeitet laut eigenen Angaben zusammen mit Computer Aid, Intel und Microsoft an der Errichtung von 25 solcher Hubs auf drei Kontinenten. Sie sollen Zugang zu medizinischer, Wasser- und Stromversorgung ermöglichen sowie Umweltschutzmaßnahmen unterstützen. Dank des Hubs im Amazonasgebiet zum Beispiel könne man den Verlauf der Entwaldung mit 90-prozentiger Genauigkeit vorhersagen. Ziel ist es laut Dells Promo-Video, „eine nachhaltige Zukunft für alle zu schaffen“.

Ironischerweise hatte Chuck Whitten kurz zuvor in seinem Keynote-Teil als Beispiel für Innovation ausgerechnet General Motors genannt, und im Video war einer jener Monster-Pickups zu sehen, die in den USA offenbar weiterhin immer größer werden müssen – Blechdinosaurier in Zeiten der Klimakatastrophe. Dies zeigt ein Dilemma der IT-Branche: Man bemüht sich – mal mehr, mal weniger glaubhaft – um Nachhaltigkeit, aber wenn die Kunden mit dem IT-Equipment groben Unfug anstellen, kann der IT-Ausrüster kaum gegensteuern – sofern er es denn wollte.

„Wenn russische Journalisten“, so Trevor Noah zum Schluss seiner Ansprache vor der versammelten US-Medienlandschaft und mit Blick auf die von Putin unterdrückte Presse in Russland, „die Freiheit hätten, jedes beliebige Wort zu schreiben, jede beliebige Geschichte zu zeigen oder jede beliebige Frage zu stellen, wenn sie im Grunde das hätten, was Sie haben, würden sie es dann auf die gleiche Weise nutzen, wie Sie es tun?“

Die Frage an uns selbst müsste also lauten: Wenn Menschen an Orten, die noch keine Solar Community Hubs haben, um den Erhalt ihrer Umwelt oder gar ums Überleben kämpfen und plötzlich all unsere digitalen Möglichkeiten hätten – würden sie diese so nutzen, wie wir es tun?

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(Dieser Beitrag erschien erstmals in LANline 06/2022.)

Bilder: Dell Technologies