„War for Talent“: Hybrid gegen Goliath

Eine Klage durchdröhnt die Chefetagen: „Gutes Personal ist ja so schwer zu finden!“ Das dachte einst wohl auch der Heerführer der Philister, als ein Hirtenjunge seinen besten Soldaten Goliath besiegt hatte. Das antike Duell lehrt einiges über den Umgang mit dem Fachkräftemangel, heißt dieser doch im US-Sprachgebrauch nicht umsonst „War for Talent“ (Krieg um begabte Mitarbeiter).

„David gegen Goliath“ kennt jeder als geflügeltwörtlichen Sieg des Schwachen über den Starken. Umso mehr lohnt der erhellende TED-Vortrag des Autoren Malcolm Gladwell zum Thema. Denn laut Gladwell war Davids Sieg bei näherem Hinsehen gar nicht so verwunderlich: Goliath war wohl aufgrund seiner Wachstumsstörung stark kurzsichtig; David wiederum hatte als Schafhirte Routine darin, Wölfen auf große Distanz einen Stein auf den Pelz zu brennen. Er gewinnt, weil er sich nicht auf einen Nahkampf einlässt, sondern sich auf seine eigenen Stärken besinnt.

Die Zeiten, als ein Duell eine Schlacht relativ unblutig entschied, sind leider vorbei, in Israel wie andernorts. Der „War for Talent“ hingegen verläuft – zumindest bislang – gewaltfrei. Doch eine Lösung des allgegenwärtigen Personalproblems scheint in ebenso weiter Ferne wie das Ende des Palästina-Konflikts. Was also kann ein Unternehmen tun, um qualifizierte Leute für sich zu gewinnen?

Baramundi vs. IT-Konzerne

Spannende Wege geht hier das Augsburger Softwarehaus Baramundi. Der mittelständische Anbieter mit 300-köpfiger Belegschaft steht bei der Suche nach Fachleuten in Konkurrenz zu zahlungskräftigen IT-Größen im nahen München – und letztlich überall auf der Welt, Remote Work macht’s möglich. Beim Gehaltsduell mit Riesen wie Microsoft, Meta oder Google bliebe Baramundi stets zweiter Sieger. Deshalb setzen die Augsburger auf andere Vorzüge.

Baramundis neuer Firmensitz ist betont offen und weitläufig gestaltet.
Foto: Eckhart Matthäus/Baramundi

Heute beordern Unternehmen – selbst in der IT-Branche, von Apple bis Meta – ihre Home-Office-Belegschaft zurück ins Büro, meist für zwei bis vier Tage die Woche. Man sorgt sich um Unternehmenskultur, Innovation und Effizienz. Im Büro sitzen die Beschäftigten dann aber einen guten Teil des Tages in Online-Meetings mit Menschen, die zu Hause oder wo auch immer arbeiten, eine „Hybrid Work“ genannte Mischform aus Büro- und Remote-Arbeit. Die Frage, ob Bürozwang hier effizienter oder kulturförderlicher ist als eine freie Wahl des Arbeitsorts, legt manch eine Stirn in Falten.

Remote Work vs. Büropflicht

Hybrides Arbeiten mit zwei bis drei Bürotagen empfiehlt auch Baramundi (sofern das Berufsbild es erlaubt), überlässt die Abwägung aber den Beschäftigten: „Wir haben die Infrastruktur und die Expertise, um unsere Leute dort arbeiten zu lassen, wo sie arbeiten wollen. Das können sie frei entscheiden“, sagt Baramundis PR-Manager Franz Braun. Auch müsse sich niemand gezwungen fühlen, im Home-Office zu bleiben, aus Angst, dieses Privileg sonst zu verlieren. Je flexibler die Home-Office-Regelung, desto eher nutze die Belegschaft alle vorhandenen Angebote. „Die ‚Future of Work‘ muss diese Flexibilität beinhalten“, betont Braun. Es gehe letztlich darum, dass die Arbeit gemacht wird und die Teamarbeit funktioniert.

Das Softwarehaus setzt dabei auf ein Arbeitsumfeld, das die Menschen freiwillig ins Büro führt. Dazu bezog es kürzlich einen Neubau in einem Industriepark, der noch in den Kinderfluren steckt, nahe der Augsburger Universität.

Baramundis Räumlichkeiten präsentieren sich, wie zu erwarten, abwechslungsreich und einladend. Für jede Alltagssituation bieten sie das passende Umfeld, darunter Sofas für Kreativarbeit oder Rückzugsorte wie „Huddle Boxes“ (halboffene Séparées) für das schnelle Team-Meeting zwischendurch. Die Entwickler sitzen im obersten Stockwerk – ohne Besucherverkehr, damit sie ihre Ruhe haben.

Begeistert sich für die vielfältigen Optionen der (Zusammen-)Arbeit im Haus: Baramundis PR-Manager Franz Braun (vorne rechts).
Foto: Eckhart Matthäus/Baramundi

So weit, so branchenüblich. Doch an vielen Stellen denkt man bei Baramundi noch ein Stück weiter. So ist der neue Firmensitz z.B. abgesehen vom Versorgungstrakt ganz auf Transparenz und Weitblick ausgelegt. „Unser Gebäude ist ein einziger offener Raum, Wände gibt es nur für die Besprechungsräume, und die sind aus Glas“, erläutert Braun.

Ein weitläufiger Lichtschacht mit Treppe verbindet die Stockwerke, im Erdgeschoss endet diese in mehreren breiten Sitzreihen, im Haus „Elefantentreppe“ genannt. Für Vorträge oder Betriebsversammlungen bietet das ein Auditorium im Herzen des Hauses, inklusive Sitzplätze im Foyer und Stehplätze mit Blick von den oberen Stockwerken auf das Geschehen.

Das großzügig angelegte Treppenhaus gestattet den Blick bis hinunter ins Foyer.
Foto: Eckhart Matthäus/Baramundi

Home-Office vs. Kaffeeklatsch

Lockdown-Geplagten fehlte laut Umfragen vor allem zweierlei: der Austausch mit Kollegen und die Halbpension in der Kantine. Das Baramundi-Gebäude beherbergt dafür ein großzügig ausgelegtes Restaurant. Das Essen ist für die Belegschaft kostenfrei und lediglich als geldwerter Vorteil zu versteuern. Nicht minder wichtig: Neben dem Restaurant gibt es ein separates Café mit einem munteren Barista, der sein Geschäft versteht und seine Schäfchen kennt („Ein Espresso und ein Cappuccino mit Sojamilch, wie immer?“). Die Kaffeebar steht auch externen Besuchern offen und dient damit als Treffpunkt über die Unternehmensgrenzen hinaus.

„Die Qualität des Cafés ist immer noch der Punkt, den ganz viele Unternehmen unterschätzen“, meint Braun. „Diese Annehmlichkeit, sich zwanglos treffen zu können, den ‚Watercooler Talk‘, das kann das Home-Office nicht leisten.“ Hier müsse man ansetzen, wolle man Beschäftigte zurück ins Büro locken.

„Die klimatischen Bedingungen sind hier im Sommer sehr angenehm“, sagt Braun im Rückblick auf den vorherigen Firmensitz, den sogenannten „Glaspalast“. „Im Sommer ist es hier kühler als zu Hause.“ Manch ein Home-Office, insbesondere eines unter der Dachschräge, verliert bei 30°C schließlich schnell seinen Reiz.

Der geräumige Firmensitz bot laut Braun anderen Unternehmen schon mehrmals eine Plattform für Veranstaltungen. „Wir wollen diese Offenheit nach außen tragen“, sagt der PR-Manager. „Das hilft natürlich auch, sich in Augsburg zu vernetzen.“ In der Tat ist der Softwareanbieter am Ort gut vernetzt: Er kooperiert z.B. mit der Stadt Augsburg in Form eines Azubi-Austauschs.

Zur Basisarbeit, den Nachwuchs für die IT-Branche zu begeistern, gesellt sich ein bunter Maßnahmenstrauß für die Mitarbeiterbindung: Neulinge bekommen einen „Buddy“ an die Seite gestellt, um sich leichter im Unternehmen zurechtzufinden. Es gibt eine 37-Stunden-Woche und flexible Regelungen für Beschäftigte, die nach einer Elternzeit wiederkommen. Reiselustigen legt Baramundi keine Steine in den Weg: Eine Workation von bis zu drei Wochen ist lediglich mit dem direkten Vorgesetzten abzustimmen. Per Sabbatical-Vertrag kann man in ein Konto einzahlen, um einen Monat oder mehrere am Stück freizunehmen.

Die Dachterrasse eignet sich für After-Work-Events und eröffnet den Blick auf den umliegenden Industriepark – sobald es ihn gibt.
Foto: Eckhart Matthäus/Baramundi

Der körperlichen und mentalen Gesundheit dienen ein Fitnessstudio im Haus, Massagetermine, Yogakurse, eine Dachterrasse sowie After-Work-Events. Und dank Vertrag mit einem lokalen Anbieter erhalten Beschäftigte verbilligte „Bara-Bikes“ (Fahrräder und E-Bikes) für die Kreislauf-ankurbelige Fahrt zum Büro.

Fazit: Bestehen im Kampf um Talente

Im „War for Talent“ schlagen sich die Augsburger wacker. So erhielt Baramundi 2023 zum fünften Mal in Folge das Label „Great Place to Work“ (Platz 12 in der Gruppe 251 bis 500 Beschäftigte). Das Softwarehaus weiß, dass man im Gehaltspoker gegen die Goliaths der Branche nicht gewinnen kann. Deshalb baut es auf eigene Stärken: Es ist lokal verwurzelt und engagiert, nimmt die Bedürfnisse der Belegschaft ernst, etwa mit individuell gestaltbarer Hybridarbeit, und bietet eine freundliche Büroatmosphäre mit gepflegtem Restaurant und Café. Die Augsburger weisen damit einen gangbaren Weg zur „Future of Work“. Ihr Vorbild könnte auch bei anderen Mittelständlern den Stein ins Rollen bringen. Und das ist im Kampf um die besten Talente viel nützlicher, als den Stein zu schleudern.

Übrigens: Einen Barista wie bei Baramundi hätte ich in meinem Freiberufler-Home-Office auch gern. Aber gutes Personal ist ja so schwer zu finden.

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Titelbild: Dr. Wilhelm Greiner, KI-generiert mittels NightCafé
Cartoon: (c) Wolfgang Traub