Deine Schuhe sind Elektroschrott

Wie konnten wir nur je ohne smarte Produkte leben? Ohne LED-Lampen, die sich per App oder Sprachsteuerung dimmen und farblich variieren lassen? Ohne hinterleuchtete Möbelstücke, funkvernetzte Thermostate, sensorbehaftete Fitnesssocken, GPS-trackbare Outdoor-Kleidungsstücke, haltungskorrigierend vibrierende Yoga-Hosen oder auf Schritt und Tritt selbige mitzählende Joggingschuhe? Das Leben im digitalen Pleistozän war öde, trist und grau, geprägt von kohleverrauchter Luft, schummrigem Kerzenschein und dem ewigen Lärm der Gutenberg’schen Höllenmaschine, die Massen bedruckter Seiten ausspuckte, hinter denen sich einsame Reisende in dampflokumfauchten Zugwaggons versteckten, um das Leid der anderen Passagiere nicht sehen zu müssen. Es war ein einziger netzloser Graus.

Heute hingegen wird alles, was nicht bei drei auf’m Baum ist, mit allem vernetzt, was sich nicht zeitgleich andernbaums festklammert. Und sollte nichts greifbar, weil komplett in höchste Wipfel geflüchtet sein, vernetzt man eben einfach die Bäume zum smarten E-Wald mit LED-Leuchtketten, sprachgesteuertem Blätterrauschen und garantiert naturidentischem Spechtklopfen.

Unser Alltag mutiert zur Mischung aus Las Vegas, Disneyland und einem rund ums Jahr geöffneten Weihnachtsdeko-Geschäft. Spieleinsatz und Eintrittskarte sind neben dem Aufpreis für all das fiepende Funktionsgedöns unser willenlos bekundeter Wille, rund um die (natürlich ebenfalls smarte) Uhr überwacht und analysiert zu werden. Der gläserne Konsument ist längst Realität – man sieht’s nur nicht gleich, weil alles so lustig glitzernd blinkt und rosa gedimmt schimmert.

Doch wo Glitzer ist, da ist auch Schatten: „Smart“ heißt „angreifbar“, betont Mikko Hyppönen, Security-Guru (sorry, wollte sagen: Chief Research Officer) von WithSecure in seinem aktuellen Sachbuch „If it’s smart, it’s vulnerable“: Vernetztes ist ein Einfallstor, sofern man den Zugriff nicht nach dem Stand der Technik schützt. Na, schon das Default-Passwort für die ach-so-smarten Sneakers geändert, die unermüdlich Standort, Bewegungsprofil und Fitnesslevel protokollieren?

Das Umweltbundesamt (UBA) warnte nun vor einer weiteren Bedeutung des Wortes: „Smart“ heißt auch „Elektronikmüll“. Denn eines Tages ist das schlaue Gadget nicht mehr cool, sondern veraltet oder defekt und wird ausrangiert.

Laut UBA kamen im Jahr 2022 Elektrogeräte mit einem Gesamtgewicht von 3,26 Millionen Tonnen in den Verkehr. Im Vergleich zum Vorjahr entspreche dies einem Plus von 130.000 Tonnen, gegenüber 2018 sogar von 850.000. Gleichzeitig sank aber laut UBA die Menge gesammelter Altgeräte gegenüber dem Vorjahr um 30.000 Tonnen auf gut eine Million Tonnen. Die Altgeräte-Sammelquote liege derzeit bei mageren 38,6 Prozent.

Dieser Elektronikmüll umfasse auch „auf den ersten Blick ‚unsichtbare‘ Elektrogeräte wie Sessel, Sofas, Schränke oder Regale mit fest integrierter Beleuchtung oder Lautsprechern, LED-Schuhe, singende Grußkarten, sprechendes Spielzeug, aber auch E-Zigaretten, Rauchmelder, E-Scooter oder Elektrofahrräder“, so das Umweltbundesamt.

„Zum Teil sind die elektronischen Funktionen versteckt und für die Verbraucher anders als ‚klassische‘ Elektrogeräte nur schwer als solche erkennbar“, erläutert das UBA. Und so stopft man die Elektrogeräte fröhlich in die Restmülltonne. „Dennoch“, so das Amt weiter, „enthalten auch sie wertvolle Rohstoffe wie Gold, Silber oder Kupfer sowie gefährliche Bauteile und Stoffe wie Blei, Flammschutzmittel oder Lithium-Batterien.“

Diese Rohstoffe nicht zu recyceln ist ausgesprochen dumm. Hier lauert das größte Risiko unserer vernetzten Welt: Je intelligenter die Produkte, desto weniger fühlen wir uns verpflichtet, selbst mitzudenken. Bis wir eines Tages auf einer vormals smarten Müllhalde hausen.

Was offenbar fehlt, ist eine smarte Mülltonne, die den Konsumenten warnt, dass es nicht so smart wäre, smarte Turnschuhe in den Restmüll zu werfen. Idealerweise ergänzt um die Erkenntnis, dass man auch ohne viele dieser ach-so-hilfreichen Funktionen gut leben kann. Wenn Schuhe nicht leuchten, vibrieren, tracken und kommunizieren, sondern einfach nur solide verarbeitet und bequem sind, dann enden sie auch nicht als Elektroschrott.

So, jetzt aber Schluss mit der Tirade. Mein smartes Mauspad sagt, ich darf mich nicht so aufregen.

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Cartoon: (c) Wolfgang Traub