Setzte man sich früher gerne auf einen Kaffee oder zumindest einen schnellen Espresso zusammen, so dominiert heute das hastig – und immer mit Blick aufs Smartphone – im Gehen geschlürfte Kaffee-Mischgetränk im Pappbecher: Das Prinzip „to go“ erobert die Welt. Zugleich erobert es – Stichwort „Cloud“ oder „as a Service“ – die Welt der IT. Die ganze Welt der IT? Nein, ein kleines gallisches Dorf voller widerspenstiger Netzwerkadministratoren widersetzt sich eisern der Dominanz des „Ich will alles auf Abruf“. Doch zunehmend scheint manuelles Netzwerk-Management ebenso aus der Zeit gefallen wie einst Asterix’ modernisierungsfeindliches Dorf am Rande des römischen Imperiums.
Wir schreiben das Jahr 2016 n.Chr. Gartner-Analyst Andrew Lerner prognostiziert: „Im Jahr 2020 werden nur 30 Prozent der Netzwerk-Betriebsteams das Command Line Interface (CLI) als primäre Schnittstelle verwenden, gegenüber 85 Prozent am Jahresende 2016.“
Fünf Jahre später wagte der Marktforscher den Blick zurück und musste zugeben: Die damalige Prognose einer schnell voranschreitenden Automation im Netzwerk-Management hatte sich als reichlich optimistisch erwiesen. „ClickOps“ – der manuelle Betrieb – ist nach wie vor die beliebteste Variante der Netzwerkverwaltung: „Weniger als 35 Prozent der Unternehmensnetzwerk-Aktivitäten sind heute automatisiert“, erklärte Lerner Ende Februar mit Bezug auf eine Erhebung unter Gartners Klientel.
„Während der Automatisierungsgrad insgesamt (bestenfalls) nur mittelmäßig ist“, so Lerner, „gibt es einen kleinen Prozentsatz von Unternehmen (und ich spreche nicht vom Typus AWS, Facebook und Google), die mehr als die Hälfte ihrer Netzwerkaktivitäten automatisieren.“ Einige dieser Vorreiter beschränken laut dem Gartner-Mann sogar den manuellen CLI-Zugriff auf die Netzwerkgerätschaft. Lerner wendet sich dabei übrigens gegen die Vermutung, Netzwerkteams würden sich aus Angst vor Jobverlust gegen eine Automatisierung sträuben: Dies widerspreche Gartners Erfahrung.
Wie aber gelangt ein Netzwerkteam von der Konfiguration per CLI zum hochautomatisierten Netzwerkbetrieb? „Wir empfehlen die Automatisierung von ‚Quick-Win‘-Aktivitäten wie Troubleshooting, Baselining und Archivierung“, sagt Lerner. Als konkrete Beispiele nennt er:
- das automatische Befüllen von Trouble-Tickets mit Netzwerkinformationen;
- die Erstellung einer automatisierten Netzwerkverfügbarkeits-Baseline, etwa die Überprüfung der Betriebszeit für bestimmte Dienste oder Anwendungen;
- die Erstellung einer automatisierten Baseline für die Netzwerk-Performance, zum Beispiel per automatisierter Tests, um aufzuzeichnen, ob die Latenz für bestimmte Dienste oder Anwendungen unterhalb des Schwellenwerts bleibt;
- die automatisierte Archivierung von Gerätekonfigurationen und des Netzwerk-Betriebszustands;
- sowie das automatische Aktivieren/Deaktivieren von Netzwerküberwachungs-Tools während Änderungen am Netzwerk.
Wi-Fi 6 und Automatisierung
„Die zwei größten Trends im Enterprise Networking sind der Ausbau der Wireless-Infrastrukturen durch WiFi 6 und die Automatisierung für das Netzwerk-Infrastruktur-Management, wo Predictive-Analytics-Systeme eine zentrale Rolle spielen“, sagt Falko Binder, Head of Enterprise Networking Architecture bei Cisco Deutschland.
Eine solche Lösung hat Cisco Anfang Mai unter dem Namen „Predictive Networks“ vorgestellt : Cisco verkündete, eine Technologie entwickelt zu haben, die eine „Predictive Maintenance“ (vorausschauende Wartung) für Unternehmensnetzwerke liefert. Per KI-Technik sollen sich künftig Netzwerkprobleme vorhersagen lassen, noch bevor sie auftreten, so das Versprechen. Der IT-Ausrüster hat dazu eine sogenannte Predictive Analytics Engine entwickelt, die er als SaaS-Angebote für sein gesamtes Netzwerkportfolio verfügbar machen will.
Laut Cisco ist „Predictive Networks“ die erste Lösung ihrer Art für den KI-gestützten, vorausschauenden Netzwerkbetrieb. Auf KI – vor allem in der Variante Machine Learning (ML) – setzen inzwischen allerdings praktisch alle großen Netzwerkausrüster, darunter HPEs Netzwerktochter Aruba mit Aruba AI, Extreme Networks mit ExtremeCloud IQ CoPilot oder auch Juniper mit seiner Netzwerk-Management-Lösung Mist (Englisch für „Nebel“ – ein für deutsche Ohren etwas unglücklich gewählter Produktname).
Reisende auf dem langen Weg von ClickOps zum automatisierten Netzwerkbetrieb mussten letzthin mit einigen zusätzlichen Hürden kämpfen: 2020 brachte die Corona-Pandemie einen Tsunami neuer Home-Office-Nutzer. Das verteilte, inzwischen meist hybride Arbeiten führte zwar die entscheidende Rolle des Netzwerks vor Augen, zugleich aber mussten aufgrund der plötzlich hohen Priorität sicherer Home-Office-Nutzung andere IT-Projekte hintanstehen – von Lieferengpässen aufgrund von Sand im globalen Logistik-Getriebe ganz zu schweigen.
Und 2022 verpasste dann Putins Ukraine-Krieg der Weltwirtschaft und damit auch dem IT-Markt einen Dämpfer: Anfang Mai schätzte IDC, dass der Krieg dem ITK-Weltmarkt dieses Jahr einen Verlust von 5,5 Milliarden Dollar bescheren wird. Statt der zuvor erwarteten fünf Prozent soll das globale ITK-Business nun nur noch vier Prozent wachsen, das in Europa nur zwei statt der vormals prognostizierten 3,7 Prozent. Obschon dieser Rückgang laut IDC vorrangig den Consumer-Markt trifft: Auch manches Projekt der Netzwerkmodernisierung und -automatisierung dürfte hier unter die Räder geraten – oder zumindest auf die lange Bank geschoben werden.
Das Netzwerk als Dienstleistung
Prognosen gehören zum Kerngeschäft der Analysten, da darf man sich vom einen oder anderen Fehlschuss nicht irritieren lassen. Eine weitere Gartner-Prognose, diesmal vom Herbst letzten Jahres: Network as a Service (NaaS) soll deutlich Fahrt aufnehmen. „Bis Jahresende 2024 werden 15 Prozent aller Unternehmen On-Premises-NaaS eingeführt haben, gegenüber nicht einmal einem Prozent im Jahr 2021“, verkündete Andrew Lerner.
Gartner umreißt dabei sehr konkret, was unter „NaaS“ zu verstehen ist: Das Analystenhaus definiert NaaS als Bereitstellungsmodell für Netzwerkprodukte mit Self-Service-Fähigkeit, einer Nutzung auf Abruf, der Möglichkeit der Skalierung nach oben und unten sowie mit Abrechnung nach Verbrauch mittels Metriken wie Ports, Bandbreite oder Benutzerzahl – also nicht einfach nach der Zahl installierter Netzwerkgeräte.
Das eigene Netzwerk in Cloud-Manier von einem Provider bereitstellen und gegebenenfalls auch managen zu lassen – das klingt reizvoll. Schließlich müssen Netzwerke heute flexibel sein (Marketiers würden sagen: „agil“), gilt es doch, neue Applikationen, Cloud-Services, Nutzer oder IoT-Gerätschaft schnell mit Bandbreite zu versorgen.
Dennoch ist NAAS laut Gartner im noch jungen NaaS-Zeitalter nicht für jedes Unternehmen das geeignete Vorgehen: „Echte NaaS-Angebote bieten einige bedeutende Vorteile, aber es gibt keinen Beweis dafür, dass die Käufer für NaaS weniger zahlen“, sagt Lerner und mahnt: „Darüber hinaus geben Unternehmen, die NaaS-Vereinbarungen abschließen, die Kontrolle über ihr Netzwerkdesign weitgehend auf und müssen NaaS-Komponenten bei einem vorzeitigen Ausstieg oder bei Ablauf der Laufzeit vollständig ersetzen. Gehen Sie daher mit NaaS in diesem aufstrebenden Marktstadium vorsichtig um!“
Unternehmen sollten laut dem Gartner-Mann NaaS-Angebote meiden, wenn sie die Kontrolle über Netzdesign oder Assets am liebsten unter eigener Hoheit behalten. Für NaaS solle man sich hingegen entscheiden, um die Netzwerkausgaben auf Opex- und Leasingbasis umzustellen, sofern denn das Unternehmens dieses Ziel verfolgt – und das Netzwerk ein vorhersehbares Nutzungsmuster aufweist.
Auf Unternehmensseite, so Lerner, schätze man die Idee eines flexiblen, verbrauchsbasierten Netzwerkmodells, das nach Art der Public Cloud unabhängig vom Standort des Nutzers oder der Anwendung ist. Er warnt aber, dass in puncto NaaS-Marketing längst nicht alles Gold ist, was glänzt: Das Spektrum reiche vom einfachen Hardware-Leasing bis hin zum echten „As a Service“-
Angebot.
NaaS: Ein noch nebliger Begriff
Cisco – mit einem Marktanteil von 55,7 Prozent am globalen Netzwerkmarkt laut Statista nach wie vor unangefochtenes Schwergewicht der Branche – preist ebenfalls die Vorzüge des On-Demand-Netzwerks: „NaaS ist ein Cloud-fähiges, nutzungsbasiertes Verbrauchsmodell, das es Nutzern ermöglicht, Netzwerkkapazitäten zu erwerben und zu orchestrieren, ohne ihre eigene Infrastruktur zu besitzen, aufzubauen oder zu warten“, so der US-Konzern in seinem „Global Networking Trends Report 2022: The Rise of Network as a Service (NaaS)“.
Bei einer Umfrage für diesen 2021 erstellten Bericht hatten stolze 36 Prozent der Befragten erklärt, NaaS bereits zu nutzen. Das ist recht verwunderlich, waren letztes Jahr doch laut Gartner lediglich schlappe 0,x Prozent NaaS-Anteil realistisch. Des Rätsels Lösung: „In unseren Gesprächen haben wir festgestellt“, heißt es im Cisco-Report, „dass viele sich selbst als NaaS-Anwender betrachten, wenn irgendein Teil ihres Netzwerks von einem Drittanbieter verwaltet wird.“ Diese Definition sei aber viel zu weit gefasst.
Echtes Network as a Service hingegen biete eine Reihe von Vorteilen: „NaaS kann ein alternatives Nutzungsmodell für eine breite Palette von Netzwerkelementen bieten, darunter kabelgebundene und drahtlose LANs, WANs und VPNs sowie Zweigstellen-, Rechenzentrums-, Edge-, Multi-Cloud- und Hybrid-Cloud-Umgebungen.“ Cisco geht bis 2027 von einem jährlichen NaaS-Marktwachstum von 40,7 Prozent aus.
Steigende NaaS-Nachfrage
Auch hierzulande steigt die Bereitschaft, von traditionellen Netzwerken auf NaaS umzuschwenken: „Durch die Pandemie entstand der Bedarf an flexiblen Arbeitsumgebungen, ohne dabei auf Performanz und Sicherheit verzichten zu müssen“, so Olaf Hagemann, Director of Systems Engineering DACH bei Extreme Networks. Als die wichtigsten Netzwerktrends sieht er deshalb die Fortführung der digitalen Transformation und die Anpassung an das „New Normal“ hybrider Arbeit. „Netzwerke sind weiterhin enorm komplex“ führt er aus. Automatisierung habe das Problem zwar gelindert, befinde sich aber noch nicht vollumfänglich im Einsatz.
Vor diesem Hintergrund will Extreme mit seiner neuen AIOps-Lösung (AIOps: KI-gestützter IT-Betrieb) ExtremeCloud IQ CoPilot die Bereitstellung und den laufenden Betrieb von Netzwerken verbessern und das Geschäftsrisiko zu reduzieren: Ein digitaler Zwilling (also ein virtuelles Abbild) der Netzwerkgerätschaft soll das Staging, Validieren und Bereitstellen von Switches und Access Points per Cloud erleichtern. Dies erlaube es, die Implementierung von Hardware erheblich zu beschleunigen und den reibungslosen Rollout sicherzustellen. Das Digital-Twin-Verfahren funktionert allerdings nur mit Extremes eigenem Equipment, nicht mit dem von Drittherstellern.
NaaS-Nachfrage verortet Hagemann vor allem am oberen Ende des Marktes: „Einen umfassenden NaaS-Ansatz sehen wir derzeit eher bei wirklich großen Unternehmen. Die möchten sich am liebsten gar nicht mehr mit den Anschaffungskosten einer Netzwerkinfrastruktur belasten und präferieren reine Subscription- oder Leasingmodelle. Insgesamt ist ein NaaS-Ansatz aber in vielen Bereichen der IT zu beobachten und wir denken, dass dieser Trend weiterhin zunehmen wird.“
Cisco-Mann Falko Binder beurteilt den NaaS-Bedarf ähnlich: „Im Datacenter besteht diese Nachfrage bereits seit Jahren. Im Campus sehen wir seit einigen Quartalen einen Anstieg, hauptsächlich von großen, global operierenden Unternehmen und Konzernen. Diese streben eine Verbesserung des Service-Levels und eine Kostenoptimierung an – also eine flexible Nutzung von Infrastruktur.“ Dies durchziehe alle Branchen. „Im Mittelstand hingegen ist das As-a-Service-Konzept noch nicht angekommen“, sagt Binder, „da Komplexität und Größenordnung bisher gut von Partnern mit On-Premises-Lösungen abgefangen werden.“
Diese Einschätzung teilt Thomas Peuthert, Head of Channel Sales DACH bei HPE Aruba, hingegen nicht: „In Deutschland fragen besonders mittelständische Unternehmen immer häufiger nach flexiblen Nutzungsmodellen, um sich auf ihre Kernkompetenzen fokussieren und flexibel auf dynamische Marktveränderungen reagieren zu können“, sagt er – und kann das mit Zahlen unterfüttern: „In Deutschland haben wir unsere Ziele bei NaaS mit einem hohen dreistelligen Wachstum übertroffen und gehen aktuell davon aus, dass im Jahr 2024 bis zu 70 Prozent des IT-Budgets für Hardware und Services in ‚AaS‘-Modelle fließen werden“, berichtet er. Der Grund dafür seien kürzere Planungszyklen sowie Bedenken hinsichtlich der Netzwerkverwaltung. Mit Aruba Central und HPE GreenLake for Aruba ermögliche Aruba den Aufbau solcher NaaS-Umgebungen.
Als weiteren wichtigen Netzwerktrend neben NaaS sieht Peuthert SASE, also die Verknüpfung von Security und Software-Defined WAN für die sichere Cloud-Nutzung. „Das Wachstum der Cloud-Anwendungen führt dazu, dass das Netzwerk jetzt und in Zukunft immer wichtiger wird“, sagt Peuthert. „Hierbei erkennen IT-Entscheider zunehmend, wie entscheidend eine intelligente SD-WAN Architektur ist, um aus bestehenden und laufenden Cloud-Investitionen den maximalen Nutzen zu ziehen.“ Hier verweist er auf Aruab EdgeConnect Enterprise und dessen Integrationen mit Cloud-Sicherheitslösungen von Partnern wie Zscaler, Netskope, Check Point, Palo Alto Networks, McAfee, Symantec etc., um eine SASE-Architektur zu schaffen.
Zwischen den Trends NaaS und SASE gibt es eine Schnittmenge: Schließlich ist auch eine SASE-Umgebung eine von einem Provider – idealerweise in einem echten „As a Service“-Modell – bereitgestellte Access-Infrastruktur. Damit könnte SASE ein guter Einstieg in die NaaS-Welt sein.
Ob mit SASE als Einstieg oder nicht: Immer mehr Unternehmen werden wohl, geht es nach der Einschätzung von Gartner wie auch großer Netzwerkausrüster, ihr Netzwerk künftig „to go“ ordern. Anders formuliert: Im gallischen Admin-Dorf eröffnet demnächst eine Filiale von Starbucks.
Lust auf mehr Artikel dieser Art? Nichts leichter als das! Einfach hier den IT Info 2 Go Newsletter abonnieren! (Achtung: Double-Opt-in wg. DSGVO! Es kommt also eine E-Mail mit Link zur Bestätigung, deshalb bitte ggf. Spam-Ordner checken!)
(Dieser Beitrag erschien erstmals in LANline 08/2022.)
Bild: (c) Wolfgang Traub