Zinnoberschwarz

„Was soll der ganze Zinnober?“ Diese schöne Redewendung – sie steht für: „Warum so viel Aufhebens um Nebensächliches?“ – kennt heute kaum noch jemand. Laut der weisen Eule Wikipedia stammt sie daher, dass einst Alchemisten, verrußt und hustend aus dem rauchumwölkten Labor hervorkriechend, feststellen mussten: Ihre Experimente mit Quecksilber und Schwefel hatten erneut kein Gold erbracht, sondern wieder nur Zinnoberrotes, wie man es vom Wasserfarbmalkasten der Schulzeit her kennt.

Viel Zinnober gemacht wird heute um die „Zukunft der Arbeit“. Die Alchemisten unserer Tage wollen Gold nicht mehr per Knall und Rauch herstellen – dass Gold ein Element, ergo nicht im Reagenzglas fabrizierbar ist, hat sich herumgesprochen. Die Mittel moderner Alchemie sind digital und heißen Big Data Analysis, künstliche Intelligenz und Robotik. Mit ihrer Hilfe strebt man einer gleißenden Zukunft entgegen, in der es von Quartal zu Quartal mehr Gold regnen möge in die Taschen des ewig gierigen Shareholders.

Einer, der dank Digitalisierung in Gold baden kann wie einst nur Dagobert Duck, ist Bill Gates. Anders als mancher Multimilliardärskollege nutzt Gates seinen Pool voller Geld nicht, um Raumschiff-Enterprise-Phantasien seiner Jugend auszuleben mit dem Ziel, auf dem Mars Cowboy und Indianer zu spielen. Er widmet sich lieber den wirklich drängenden Problemen der Menschheit: Mit der Bill & Melinda Gates Foundation arbeiten seine Frau und er daran, Gesundheit und Bildung der Weltbevölkerung verbessern, und 2015 scharte er im Projekt Breakthrough Energy Investoren um sich, um klimafreundliche Technik zu fördern.

In seinem neuen Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“ (es könnte das wichtigste Sachbuch des Jahrzehnts werden) diskutiert Gates die Frage, wie sich das bislang erfolgreiche Bemühen der Menschheit, das eigene Habitat möglichst schnell unbewohnbar zu machen, noch umkehren lässt. Er fordert nichts Geringeres als klimaneutrales Wirtschaften und unterscheidet hier zwischen Technik mit geringem und hohem „Öko-Aufpreis“ („green premium“): Sind klimaneutrale Lösungen nur etwas teurer als konventionelle, brauche man Aufklärung und staatliche Anreize; sind sie noch deutlich teurer, erfordere dies Investitionen in Innovation.

Statt an immer schnellerer, effizienterer, gewinnträchtigerer Immernochmehrproduktion zu basteln, sollten wir Menschen das Forschen darauf konzentrieren, unser tägliches Treiben schnellstmöglich nachhaltig zu gestalten. Diese Wende wäre goldrichtig. Kommt sie nicht bald, sehe ich für unsere Zukunft – und damit auch die der Arbeit – rußschwarz.

(Dieser Kommentar erschien erstmals als Editorial in LANline 05/2021.)

Bild: (c) Wolfgang Traub