Zukunft as a Service

Die Cisco-Hausmesse Live 2021 Ende März war Ciscos erste globale Veranstaltung, die ausschließlich online stattfand. Rund 100.000 Menschen verfolgten laut CEO Chuck Robbins dessen Keynote per (im wörtlichen Sinne) „Live-Stream“. Der Gastgeber hatte zahlreiche News im Gepäck – vor allem, dass man ab Sommer das gesamte Portfolio als Service anbieten werde. Da geriet die nächste Generation von Optical-Routing-Technik schon fast zur Nebensache. Kurz vorher hatte die deutsche Regionalkonferenz Connect gezeigt, wie die Zukunft der Online-Hausmesse aussehen könnte.

„Die Welt braucht uns, und die Welt braucht Sie alle“, so Chuck Robbins’ Message an die weltweit verstreuten IT-Fachleute draußen an den Empfangsgeräten. Zwar mag ein Hauch Silicon-Valley-typischer Unbescheidenheit diese Aussage umwehen, doch wer würde es wagen, dem Cisco-Chef im Daten- und „Immer mehr as a Service“-Zeitalter zu widersprechen? Schließlich war es das Internet (und damit Cisco-Router), Cloud-basierte Business-, Collaboration- und Videoconferencing-Services (darunter Cisco Webex) und IT-Security-Lösungen (von zahlreichen Anbietern, nicht zuletzt ebenfalls Cisco), die rund um den Globus einen Großteil des Geschäfts- und Privatlebens am Laufen hielten.

Nicht umsonst ist der Internetverkehr laut Angaben des IT-Konzerns in manchen Ländern um bis zu 45 Prozent gestiegen (in Deutschland um 20 Prozent). Sein Unternehmen, so Robbins, habe in der Pandemie Remote Work ermöglicht, und nun sei man damit befasst, die Rückkehr ins Büro – genauer: in eine hybride Arbeitswelt aus Büro- und Remote-Arbeit – vorzubereiten, während man den Rollout der US-amerikanischen Impfkampagne unterstütze und absichere.

Selbst wenn eines Tages die letzte COVID-19-Vakzindosis verimpft ist, wird die Rolle der IT weiter an Gewicht gewinnen: Schließlich sollen – Stichwort „Internet of Things“ (IoT) und 5G – laut Cisco-Prognose bereits 2023 weltweit 29,3 Milliarden Geräte vernetzt sein. Es gehe deshalb nun darum, eine „inklusive Zukunft für alle“ – so Robbins mit Bezug auf den Slogan der letztjährigen Live – zu ermöglichen: „Eine inklusive Zukunft beginnt mit einer inklusiven Erholung (von der Krise, d.Red.)“, so der CEO. „Wir müssen eine inklusive Zusammenarbeit ermöglichen.“

Denn „Inklusion“ ist derzeit ein Leitmotiv für Cisco – sieht man doch das Risiko, dass sich Beschäftigte im Lockdown-Heimbüro schnell „abgehängt“ fühlen. In der künftigen Arbeitswelt gelte es sicherzustellen, dass die Beschäftigten im Home-Office ebenso produktiv sein und sich ebenso eingebunden fühlen können wie die Belegschaft im Büro, so Robbins. Mit „Inklusion“ meint Cisco aber auch eine größere Nutzerbasis: Eine Milliarde Menschen will der Konzern weltweit bis 2025 ins digital gesteuerte Boot holen. Hier sei man bereits auf einem guten Weg.

Cisco Plus

Der Weg ins inklusive Digitale ist ein Dreisprung: Wichtig sei es, so Robbins, IT-Umgebungen zu vernetzen, zu schützen und zu automatisieren. Da immer mehr Unternehmen ihre IT bevorzugt als Cloud-Service beziehen, also mieten, stellt Cisco nun – Trommelwirbel! – seine Produktpalette auf „as a Service“ um. Damit folgt der IT-Ausrüster dem Beispiel seiner Wettbewerber: HPE hatte schon im Sommer 2019 verkündet, sein Greenlake-Portfolio zu „Everything as a Service“ auszuweiten ; Dell zog im Herbst 2020 mit „Project Apex“ nach.

Ab dem Sommer, so Todd Nightingale, verantwortlich für Ciscos Enterprise-Networking- und Cloud-Business, werde Cisco unter dem Namen „Cisco Plus“ das gesamte RZ-, Netzwerk- und Speichersortiment – Hardware wie auch Software – als Service anbieten. Cisco Plus soll, wie in solchen Fällen üblich, über ein intuitiv bedienbares Portal verfügbar sein und einen Marktplatz umfassen, über den man Services von Cisco wie auch von Partnern nach Bedarf buchen kann. Die Angebote werden laut Pressemitteilung zuerst in den USA, Kanada, UK, Deutschland, den Niederlanden und Australien verfügbar sein.

Den Anfang macht eine „As a Service“-Lösung für SASE (Secure Access Service Edge) – nicht weiter verwunderlich, ist doch SASE in Gartners Definition die Verschmelzung Cloud-basierter SD-WAN- und Security-Services (obschon mit lokal installierten Endgeräten). Die Grundlage dafür schuf Cisco, indem der Konzern die SASE-Komponenten – Cloud-Sicherheit inklusive ZTNA (Zero-Trust Network Access) sowie SD-WAN und Traffic-Monitoring – im Bundle anbietet. Zukünftig – ein genaues Datum nannte Cisco nicht – sollen die SASE-Bausteine als ein einziges Abo erhältlich sein.

Derzeit bewegt sich Cisco inkrementell auf ein einheitliches SASE-Angebot zu: Die Netzwerk-Management-Software Meraki integriere sich jetzt in Ciscos Cloud-basierte Security-Lösung Umbrella. Diese wiederum biete nun Remote-Browser-Isolation gegen Web-Gefahren sowie DLP (Data Loss Prevention) gegen Datenverlust und entferne Malware aus Cloud-Dateispeichern. Die Netzwerk-Bauteine – Meraki und die SD-WAN-Lösung Viptela – verstehen sich nun mit weiteren Public Clouds.

Den Kontext dazu erläuterte Jeetu Patel, der im Konzern Security und Collaboration verantwortet. Ciscos Security-Strategie umfasse drei Punkte: erstens den Schutz von Nutzern, Geräten, Netzwerken und Applikationen; zweitens kontextabhängige Zugriffsrichtlinien; und drittens proaktive Erkennung und Reaktion auf Sicherheitsvorfälle (Detection and Response).

Zu Punkt eins stellte Patel eine passwortlose Authentifizierung in Aussicht: Die Lösung Duo soll es Beschäftigten künftig erlauben, bei Cloud-Services die altbackene Authentisierung per Passwort durch Security-Tokens oder die Biometriefunktionen der Endgeräte wie Apple Face ID, Touch ID oder Windows Hello zu ersetzen. Duo soll ab Sommer als Public Preview verfügbar sein. In puncto Detection and Response wiederum aggregiert die Cloud-native SecureX-Plattform, vorgestellt letzten Juli, nun Informationen von Cisco-Seite und aus externen Quellen wie Google, ServiceNow oder Splunk.

Zudem umfasst sie neue automatisierte Prozesse. Damit sollen sich Angriffe beispielsweise mittels Phishing deutlich schneller abwehren lassen: Ein Anwender könne eine E-Mail bei Verdacht auf Phishing an ein Alias weiterleiten, so Cisco, Secure X übernehme dann automatisiert die Analyse und gebe in Minutenschnelle Bescheid, ob die E-Mail bösartig ist. Eine solche Automation vormals händischer Abläufe soll künftig Security-Workflows über alle Sicherheitsprodukte des Konzerns hinweg vereinfachen.

Schnellere Netze

Trotz manchen Knarzens: Das Internet hat sich in der Pandemie erstaunlich gut geschlagen. Doch Betrieb und Ausbau der globalen Internet-Infrastruktur sind, so Jonathan Davidson, Leiter von Ciscos Mass-Scale Infrastructure Group, große Herausforderungen für Netzwerkbetreiber: Für jeden investierten Dollar wende ein Provider fünf für Betriebskosten auf. Vor diesem Hintergrund will Cisco das Carrier-Dasein mit „Routed Optical Networking“ erleichtern. Gemeint ist: Kompakte Transceiver des jüngst akquirierten Optical-Networking-Spezialisten Acacia lassen sich direkt in die IP-Router stecken und sollen so helfen, IP- und optische Netze zusammenzuführen.

Dadurch, so Davidson, könne ein Provider seine Legacy-Transport-Services auf das IP-Netz migrieren. Dies senkt die Gesamtkosten des Internetbetriebs laut Cisco-Angaben um bis zu 46 Prozent. Und mit „Converged SDN Transport“ könne man mehrere Netzwerke zu einer gemeinsamen, hoch skalierbaren Infrastruktur kombinieren.

Davidson verkündete zudem die nächste Generation von Ciscos Silicon-One-Plattform: Ende 2019 vorgestellt, durchbrach die programmierbare Routing- und Switching-Architektur damals die 10-Tbit/s-Marke, nun sollen bis zu 25,6 Tbit/s möglich sein. Die neuen Router der 8000er-Familie zum Beispiel bieten laut Cisco-Angaben nun dank „Silicon One Q200“-Chips eine Kapazität von bis zu 14,4 Tbit/s.

Das digitale Geschehen gilt es aber auch im Auge zu behalten. Chief Strategy Officer Liz Centoni stellte Neuerungen für mehr Durchblick im Applikations- und Netzwerkverkehr vor: Die Integration der Netzwerk-Überwachungssoftware ThousandEyes mit der APM-Lösung (Application-Performance-Management) AppDynamics führt Netzwerk- und Performance-Metriken in einem Dashboard zusammen.

Dies, so Centoni, ermögliche „Full-Stack Observability“. Der unhandliche Begriff meint: Einblick in die Systemzustände entlang des gesamten Unterbaus und Datenpfads einer Applikation. Zusammen mit Secure X schaffe dies die Basis für die Entwicklung und den Betrieb sicherer Hybrid-Cloud-Applikationen inklusive Multi-Cloud-Management und -Compliance. Zu diesem Zweck ist die ThousandEyes-Software ab April ohne Zusatzkosten im Lieferumfang der Catalyst-9000-Switches enthalten.

Todd Nightingale gab im Rahmen der Keynote auch noch einen Ausblick auf Ciscos Portfoliostrategie: Man werde die Produktpalette zu einer übersichtlichen Plattform-Suite bündeln, um den IT-Betrieb durch mehr Automation und Integration einfacher zu gestalten.

Als Beispiel griff Nightingale auf den aktuellen Fall der Impfstofflogistik zurück: Die Kühlschränke für die Vakzinvorräte sind kameraüberwacht; meldet eine Kamera eine Bewegung, könne die Meraki-Software eine Warnung generieren und die Bilder automatisch zur Begutachtung in eine Webex-Konferenz überspielen. Man muss sich also wenigstens um den geordneten Ablauf des Impfprogramms in den USA keine Sorgen machen. Kleine Frage mit Blick auf die Situation hierzulande: Bietet eigentlich schon jemand „Vakzin-Rollout as a Service“?

Cisco Connect Germany

Zwei Wochen vor der Live fand die Online-Regionalkonferenz Connect Germany statt – eigentlich ein ungünstiger Zeitpunkt, konnte man doch im Vorfeld der globalen Hausmesse hier kaum News präsentieren. Lediglich eine Neuankündigung zauberte Cisco zur Connect aus dem Hut: Man werde im Juni ein neues RZ in Frankfurt eröffnen. Es soll Webex für die Kundschaft in Deutschland und der EU hosten – die Datenschutzbeauftragten freut’s.

Spannend war die Connect vor allem, weil sie den Stand der Digitalisierung in Deutschland anschaulich umriss. Auch die Connect widmete sich vorrangig dem, was sich früher „Teilhabe“ nannte und Cisco mit „Inklusion“ meint: Neben Industrie 4.0 und Hybrid Work ging es um Chancengleichheit, Nachhaltigkeit und die Digitalisierung öffentlicher Einrichtungen wie Kliniken oder Schulen.

Vom Connect-„Hauptstadtstudio“ aus moderierte Ciscos Deutschlandchef Uwe Peter professionell eine Veranstaltung mit mehreren Streams angenehm knapp gehaltener Sessions. In seiner Keynote zog er nach einem Jahr COVID 19 Bilanz: Das hiesige Bruttosozialprodukt sei weitgehend stabil geblieben, die Klimabilanz habe sich – mit freundlicher Unterstützung durch Lockdowns samt Home-Office-Boom – um über 40 Prozent verbessert. Nachholbedarf sah er aber beim Thema Chancengleichheit: Er verwies auf den Global Risks Report des World Economic Forums (WEF), in dessen Top-fünf-Risiken nun erstmals die digitale Spaltung auftaucht. Ihr müsse man entgegenwirken, so Peter.

Mit Cedrik Neike, Siemens-Vorstand und CEO des Bereichs Digital Industries, sowie der aus Bonn zugeschalteten Claudia Nemat, Vorstand Technik und Innovation bei der Deutschen Telekom, diskutierte Peter den Stand der Dinge im Land der Dichter und über Digitalisierung Nachdenker. Um einen „digitalen Faden“ zwischen IT und OT zu spinnen, so Neike, gelte es, die IT mittels Low-Code- und No-Code-Plattformen zu vereinfachen.

Zudem forderte sie „Human-centric Security by Design“: nutzerorientierte, ab Werk integrierte Sicherheitsfunktionen. Neike berichtete von dem seit 2018 laufenden Projekt, den Berliner Stadtteil Siemensstadt – ein vor über 100 errichtetes Areal des Konzerns mit Werksneubauten und sachlich-schlichten Arbeitersiedlungen, damals Modellprojekt für das „Neue Bauen“ – zum Innovationscampus für das 4.0-Zeitalter umzugestalten: Ziel sei es, den Kiez auszulegen auf die Zukunft des Wohnens, Arbeitens und kontinuierlichen Lernens. Man werde über eine Million Quadratmeter komplett neu gestalten.

Das Themenspektrum der viertelstündigen Breakout-Sessions reichte vom hybriden Arbeiten über die Digitalisierung des Gesundheitssektors bis zur digital gestützten Bildung. Dem Home-Officer von Welt empfielt Cisco das KI-gestützte Desktop-Gerät Webex Desk pro: Dank Greenroom-Funktion könne man damit eigene Präsentationsinhalte als Hintergrund einrichten, zudem gebe es Funktionen wie Whiteboard, Sprachbefehle oder das Ausblenden von Hintergrundlärm – für manch ein Online-Meeting der Rettungsanker.

Die Kommunen wiederum stehen laut Martin Schmiedel, Vorstand des IT-Dienstleisters kommune.digital, vor der „Mammutaufgabe digitale Bildung“ (so sein Vortragstitel), doch fehle es gerade kleinen und mittleren Gemeinden an Personal und Know-how. Gefragt sei Unterstützung von A bis Z: von der Bestandsaufnahme über die Vision (Was bedeutet Home-Schooling, Distanzunterricht, hybrides Lernen? Warum nicht mal für Fremdsprachenunterricht Muttersprachler remote aus dem Ausland zuschalten?) bis hin zu Anwenderschulung und Support.

Die Abschluss-Keynote drehte sich nochmals um das Kernthema Inklusion. Dazu war Lena-Sophie Müller, die Geschäftsführerin der Initiative D21, ins Studio geladen. Die Initiative will erreichen, dass alle Menschen hierzulande bestmöglich von der Digitalisierung profitieren. Dieses Ziel scheint noch einigermaßen weit entfernt. Müller argumentierte aber, beim Zugang zu Geräten stehe Deutschland gut da – bei den Digitalkompetenzen und der Offenheit für Neuerungen hingegen gebe es „noch Luft nach oben“.

Beim Thema Bildung dürfe man nicht nur auf Kinder schauen: Auch in den Unternehmen seien Upskilling- und Reskilling-Aktivitäten nötig. Für mehr Nachhaltigkeit, so Müller, biete Technologie eine große Chance, etwa durch emissionsärmere Stromerzeugungstechnik, zudem würden nun aufgrund der Pandemie Dienstreisen „ganz anders bewertet“ – sprich: eben durch Online-Meetings ersetzt. Während die IT-Branche sich gerne als weißer Ritter der Nachhaltigkeit inszeniert, legte Müller den Finger in die Wunde: Technologie bringe auch neue Herausforderungen, verbrauchen doch beispielsweise Quantencomputing oder Kryptowährungen enorm viel Energie.

Anti-Scheren-Fernsehen

Die Cisco Connect Germany war gut besucht, vor allem aber war sie gut gemacht. Denn sie orientierte sich nicht an jenen Webcasts und Zoom-Meetings, mit denen das Konferenzpublikum dieser Tage eh den Großteil seiner Zeit verbringt. Vielmehr schien sich Cisco das Unterhaltungsfernsehen als Vorbild genommen zu haben (siehe Bild oben): Im Berliner „Hauptstadtstudio“ gab es neben Monologen vor Breitwand-Greenscreen-Kulisse auch eine Live-Band (ja, trotz Corona) für den kleinen Jingle zwischendurch sowie entspanntes Geplauder des Gastgebers mit seinen Gästen vor Kulissen, die stark an US-amerikanische Late-Night-Talkshows erinnerten.

Denn wer sich in den USA fundiert informieren will, muss die TV-Nachrichten der Regionalsender meiden (die vorrangig aus Moderatorengeblubber, Lokal-Banalem, Werbung, Sport und Wetter bestehen) und auf die hellen Köpfe der Late-Night-Shows warten, allen voran Trevor Noah, Stephen Colbert und der geniale John Oliver. Dessen „Last Week Tonight“ ist praktisch schon Bildungsfernsehen – nur eben in unterhaltsam.

Dass sich Cisco solche Vorbilder gesucht hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn kurzweilige Online-Hausmessen erleichtern es, Reisen zu Konferenzen künftig „ganz anders zu bewerten“. Und das ist gut so, wie man in Berliner Hauptstadtstudios sagt. Zumindest, wenn man es mit der Nachhaltigkeit wirklich ernst meint.

Zugleich ist der Besuch einer Online-Hausmesse – Bandbreite, Endgerät und Digitalkompetenz mal vorausgesetzt – auch jenen möglich, die vor den Kosten und dem Zeitaufwand einer Dienstreise zurückschrecken würden. Die Umwelt gewinnt also durch eine „Hausmesse 4.0“ ebenso wie die Teilhabe. Auch an der Cisco Live hätten schließlich keine 100.000 Menschen offline teilnehmen können.

(Dieser Beitrag erschien erstmals in LANline 05/2021.)

Bildquelle: Cisco