Agentic AI: Ritt auf dem schlaflosen Elefanten

Allmählich wird’s Zeit, dass sich die IT-Branche in „KI-Branche“ umbenennt. Von etwas anderem als künstlicher Intelligenz ist eh kaum mehr die Rede. Und wenn selbst ein gestandener mittelständischer Softwareanbieter wie Baramundi, der so schnell keinem Marketing-Hype hinterherläuft, dem Thema auf seiner Kundenveranstaltung Come2gether einen prominenten Platz einräumt, dann weiß man: KI ist gekommen, um zu bleiben – auch im Geschäftsleben.

Lars Lippert, Managing Director des Augsburger UEM-Spezialisten (Unified Endpoint Management), konfrontierte das Publikum gleich zum Auftakt seiner Come2gether-Keynote mit dem Elefanten in Raum: „Seid ihr sicher, dass es die Rolle des IT-Administrators, der IT-Administratorin in fünf Jahren noch gibt?“ Schließlich ist besagter Elefant algorithmisch animiert und droht, den Admins die Jobs wegzurüsseln.

„Wenn wir unser Denken auslagern an eine KI, dann wird die Luft für die Administratorinnen und Administratoren durchaus dünn“, warnt Baramundi-Chef Lars Lippert.

Er zitierte einen Pressebericht, wonach sich die Zahl der Stellen für Junior-Entwickler halbiert hat – auch aufgrund von KI. „Neue Trends wie Agentic AI“ – keine James-Bond-KI, sondern eine, die selbsttätig Aktionen anstoßen kann – „werden uns gemeinsam beeinflussen“, so der Baramundi-Chef im Einklang mit vielen Branchenkennern. Schließlich geht der Trend laut den Marktauguren dahin, Aufgaben nicht mehr selbst zu erledigen, sondern in natürlicher Sprache zu beschreiben und dann eine KI die Workflows abarbeiten zu lassen. All das in der Hoffnung, dass es durch solides Modelltraining gelingt, den albernen Affen der KI-typischen Halluzinationen (frei erfundener, aber im Brustton der Überzeugung vorgetragener Antworten) in einem gut verriegelten Käfig wegzusperren.

KI-Hype außer Kontrolle
Lippert verwies auf „Amara’s Law“, also Roy Amaras Beobachtung, dass Menschen tendenziell die kurzfristigen Auswirkungen neuer Technologien über- und die langfristigen unterschätzen. Diese Neigung zeigt sich nicht zuletzt im Gartner Hype Cycle. Mit Blick auf diese idealtypische Hype-Verlaufskurve mahnte KI-Fachmann Eric Siegel im Wirtschaftsblatt Forbes kürzlich: „Der Agentic AI Hype Cycle ist außer Kontrolle – und dennoch weitgehend normalisiert“. Er warf Gartner vor, die Blasenbildung mit seinem Hype Cycle sogar noch zu befeuern.

„Der Hype um KI ist der schlimmste Hype überhaupt“, so Siegel. „Er fördert das Narrativ, die Technologie werde relativ bald in der Lage sein, menschliche Arbeit vollständig zu übernehmen.“ Dies aber kanzelt er ab als „falsches Versprechen von einem außergewöhnlichen Maß an Maschinenautonomie“.

Laut Gartners AI Hype Cycle vom Juni 2025 balancieren KI-Agenten (AI Agents) gerade auf dem „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ – und dürften damit bald ins „Tal der Enttäuschungen“ abzustürzen. Baramundi-Chef Lippert wiederum sieht den Markt in der „Ja, aber“-Phase der KI-Akzeptanz: Einerseits erwarten wir menschlich-allzu-menschlich einen linear ansteigenden Nutzen von KI, andererseits bremsen allgegenwärtige Bedenken deren Einsatz.

Lippert verwies auf ein Problem beim KI-Einsatz im Unternehmen: Die hohe Komplexität der IT-Umgebungen drücke den Nutzen der KI unter die Erwartungskurve der Admins. Deshalb sieht er die Jobs seines Publikums vorerst nicht bedroht. Schließlich müsse man Sicherheit und Produktivität in zunehmend komplexen Infrastrukturen bezahlbar sicherstellen.

Der Baramundi-Chef betont aber auch: „Wir können uns dem KI-Thema nicht verschließen.“ Die Rolle seiner Klientel sieht er, ebenfalls im Chor mit vielen Fachleuten, so: Admins steuern, die KI unterstützt. Es hat Gründe, dass z.B. Microsoft seinen KI-Assistenten nicht „KI-Pilot“ taufte, sondern „Copilot“.

Schwaben, die fränkisch sprechen
Was heißt das für die Produktstrategie der Augsburger? Es bedeutet vor allem MCP-Unterstützung. MCP (Model Context Protocol), ein Open-Source-Projekt des KI-Anbieters Anthropic, hat sich schnell als das Fränkisch – „lingua franca“ heißt doch „fränkische Sprache“, oder? – bei der Kommunikation in KI-Umgebungen etabliert.

MCP ist für KI, was HTTP für das Web ist: Über das Protokoll kommunizieren Clients (hier KI-Systeme oder LLMs) standardisiert mit Servern (Applikationen oder Datenquellen). So lassen sich die Datenbestände eines Unternehmens z.B. für hauseigene Chatbots nutzen, unabhängig vom KI-Modell, solange alle Bausteine den offenen Standard unterstützen.

Schöner administrieren
Lippert stellte treue Arbeitselefanten in Aussicht: Ein Anwender könne künftig z.B. mittels Anthropics Claude Desktop in natürlicher Sprache formulierte Fragen an Baramundi-Lösungen stellen, z.B. die nach den größten Stabilitätsproblemen der Endgeräte. Das Ergebnis könne er als Tabelle, Grafik oder Report darstellen lassen und zudem Handlungsempfehlungen erhalten – wie man es ähnlich im Privaten von ChatGPT & Co. her kennt (und hoffentlich nur im Privaten, Hashtag Datensicherheit).

Die Grundvoraussetzung für KI im Geschäftseinsatz, so Lippert: „Es muss korrekt und wirtschaftlich sein.“ Erste Baramundi-Lösungen für MCP-Ökosysteme werde es „in den kommenden Monaten“ geben.

Von den Zukunftselefanten zu den aktuellen Arbeitstieren: Baramundis DEX-Tool (Digital Employee Experience) Perform2Work erkennt Anomalien nun mittels – man errät es – KI (hier in Form statistischer Analyse). Und mit Proactive Hub gibt es eine mandantenfähige Cloud-basierte Management-Lösung für hybride Umgebungen. Die übrigen News betrafen Verbesserungen am UEM-Kernprodukt Baramundi Management Suite: Remote Support für iOS und Android, umfangreichere Unterstützung von Linux-Endgeräten, schnellere Schwachstellenscans, mandantenfähiges Co-Management mit Microsoft Intune sowie flexiblere Vorgaben für Wartungsfenster – vieles davon auf Wunsch aus der Anwender-Community umgesetzt.

… und schöner entwickeln
Zur Weiterentwicklung solch farbenfrohen Feature-Gefieders soll KI künftig ebenfalls einen Beitrag leisten: Produktmanagement-Chef Armin Leinfelder und UEM-Entwicklungsleiter Philipp Spangenberg erläuterten im Abschlussvortrag das Vorhaben des Softwarehauses, KI-Agenten als virtuelle Mitarbeiter in Entwicklungsteams einzubinden. Es werde Teams geben, in denen der Produktverantwortliche KI-Agenten steuert, die verschiedene Rollen ausfüllen: Entwickler, UI-Designer (User Interface), Tester oder auch DevOps-Mitarbeiter.

Erläuterten, wie KI-gestützte Softwareentwicklung bei Baramundi künftig funktionieren soll: Produktmanagement-Chef Armin Leinfelder (links) und UEM-Entwicklungsleiter Philipp Spangenberg

Die in der agilen Softwareentwicklung – Baramundi nutzt die Scrum-Methodik – typische tägliche Besprechung (Daily) soll sich zum „Daily“ zwischen Mensch und Agententeam im 20-Minuten-Takt wandeln. Das soll die Entwicklung beschleunigen, wobei stets ein Mensch die Kontrolle in der Automationsschleife behalte („Human in the Loop“ genannt).

KI kann laut Spangenberg ihre Stärken ausspielen, wo der Mensch schwächelt, etwa Muster in Datenmassen viel besser erkennen. Auch werde KI selbst nach langer Lektüre nie müde. Der Mensch hingegen, so Armin Leinfelder, bleibe wichtig, bringe er doch Lebenserfahrung wie auch Expertise ein und trage letztlich die Verantwortung. KI-Agenten verglich Spangenberg mit jungen Kollegen: Diese müsse man ebenfalls „an der Hand nehmen“, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.

Schneller, weiter, künstlich intelligenter
Seit den ruß- und dampfverhangenen Jugendjahren der Industrialisierung leben wir in einem Zeitalter der Beschleunigung. Die Digitalisierung hat hier den Turbo beigesteuert, KI führt den Geschwindigkeitsrausch nun auf einen neuen (Hype-)Gipfel. Wie weit sich die endlose Dauerbeschleunigung noch treiben lässt, ist allerdings offen, zumal sich generative KI eben gerne mal zum Affen macht. Und die KI-Fachleute sagen: Halluzinationen sind bei generativer KI prinzipbedingt, sobald Kontext fehlt – sie sind also keine Kinderkrankheiten, die eines Tages verschwinden.

Für den „korrekten und wirtschaftlichen“ KI-Betrieb, den Baramundi-Chef Lippert fordert, muss also umfangreicher, laufend aktualisierter Kontext auf korrekt formulierte Prompts treffen, gefolgt von stets wachsamer Kontrolle durch den „Human in the Loop“ – eine hohe Hürde, nicht nur für Baramundi, sondern für die gesamte KI-Hype-berauschte Branche. So werden immer wieder Stimmen laut, der KI-Einsatz im Software-Development mache den Entwickler zum Halluzinations-Dompteur.

Versprechen erneuter Beschleunigung
Das vollmundige Versprechen generativer und agentischer KI klingt – typisch Chatbot – überzeugend: mehr Effizienz, höheres Tempo, weniger lästige Routinearbeit, kontrollieren statt selber frickeln. Zugleich aber warnen Kritiker, die IT-Branche werde sich eines Tages eingestehen müssen: „Die ich rief, die Elefanten, werd’ ich nun nicht los!“

Schon zu Dampflok-Zeiten mahnten Mahner, der Mensch sei für das hohe Tempo dieser modernen Ungeheuer nicht gemacht. Das hat sich bekanntlich nicht bestätigt. Nach Elektrifizierung und Digitalisierung schickt sich nun KI an, die nächste Raketenstufe der Beschleunigung menschlichen Wirtschaftens zu zünden. Es bleibt abzuwarten, welche Qualität sich in welcher Geschwindigkeit tatsächlich erzielen lässt, wenn Daily-Scrum-Meetings zur 20-Minuten-Taktung zusammenschnurren. Und im Folgejahr dann bitte zum Zehn-Minuten-Takt.

Es wird also spannend sein, beim nächsten Baramundi Come2gether zu hören, welche Vor- und Nachteile die elefantös-KI-agentischen Kollegen tatsächlich gebracht haben. Meine Prognose: Es wird, wie immer bei Technologiesprüngen, ein Pfauenrad unerwarteter Effekte geben.

So dürfte z.B. der „Mensch in der Möbius-KI-Dauerschleife“ recht bald ein Sabbatical brauchen. Aber bitte nicht, wie früher, gleich ein Viertel- oder halbes Jahr lang. Ein Tag muss reichen! Schließlich nutzt auch der Mitbewerb die nimmermüden KI-Arbeitstiere, und damit gilt im durchaus wörtlichen Sinn: Die Konkurrenz schläft nicht.


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Cartoon: (c) Wolfgang Traub
Fotos: (c) Baramundi Software