Glaubt man den Auguren und Marketiers der IT-Branche, so gehört die Zukunft ganz der künstlichen Intelligenz: KI (oder englisch AI) wird uns alle Wünsche von den Augen ablesen (genauer: aus unserer Nutzerhistorie errechnen), den Werktätigen alle Werktätigkeiten außer Prompten und Däumchendrehen abnehmen, Krebs und einen ganzen Zoo weiterer Krankheiten heilen und irgendwann ganz bestimmt sogar Bremsklötze erfinden, um die Klimakatastrophe zu stoppen. Auch wenn die Menschheit KI bislang vorrangig dazu nutzt, die asozialen Medien mit Spam-Gelaber, Fake News und hirnlos hingerotztem KI-Müll („AI Slop“) à la „Shrimp Jesus“ zu verseuchen – aber, hach Gottchen, 98% Ausschuss gibt’s halt immer, was willste machen.
Auf der Skala zwischen der Schönen Neuen KI-Welt™ der Tech Bros einerseits und unserer alltäglichen Melange aus echter KI-gestützter Arbeitserleichterung, KI-Halluzinationen, AI Slop und Umweltproblemen andererseits findet sich mittendrin eine spannende Zwischenstufe: Unter dem Namen „Solarpunk“ hat sich – teils in altmodischer Handarbeit, zunehmend aber KI-gestützt – eine Kunstform herausgebildet, die Fortschritt nicht zum Selbstzweck erklärt, sondern als Werkzeugkasten begreift, um angesichts der Klimakatastrophe ein grünes, lebenswertes Habitat zu gestalten.
Von Steampunk zu Solarpunk
Der Name „Solarpunk“ spielt augenzwinkernd auf eine Vorläuferbewegung aus den 1980er-Jahren an, den „Steampunk“. Damals, in den Flegeljahren der Massen-Computerei, inzenierte eine Gruppe von Autoren, Künstlern, Filmschaffenden und Fans den technischen Fortschritt nicht minder augenzwinkernd mit postmodern-ironischem Blick durch die (Schweißer-)Brille des Dampfmaschinen-Zeitalters: Ja, es geht voran, aber der Weg ist nicht staubfrei, steril und digital, sondern rußgeschwängert, ölverschmiert und zahnradverzahnt.
In Steampunk-Literatur, -Kunst und -Lifestyle folgt auf die mechanische Schreibmaschine nicht der Windows-PC oder der Mac, sondern eine beliebig komplizierte Typografie-Apparatur, die direkt der Gedankenwelt des französischen Science-Fiction-Vorreiters Jules Verne entsprungen sein könnte. In der Tat kennen viele die Steampunk-Ästhetik wohl vorrangig aus Disneys Jules-Verne-Verfilmung „20.000 Meilen unter dem Meer“ oder aber aus Hollywood-Komödien wie „Back to the Future III“ und „Wild Wild West“.

Fortschritt in Deutschland (Symbolbild): In einer Titelgrafik der IT-Fachzeitschrift LANline von 2018 zum Thema Verkabelung wurden Glasfaserkabel in schönster Steampunk-Manier per Dampflok verlegt.
Cartoon: (c) Wolfgang Traub
Statt auf neo-viktorianische Retro-Science-Fiction-Ästhetik setzt Solarpunk auf eine durchaus optimistische, farbenfrohe Inszenierung der Zukunft. Technik und Natur greifen ineinander, um unser Zusammenleben (oft als urbaner Raum visualisiert) ebenso menschenfreundlich wie klimagerecht zu gestalten. Im Solarpunk löst Technik Umweltprobleme, statt neue zu schaffen. Damit bildet die Kunstrichtung ein hoffnungsvolles Gegengewicht zu jener Klimawandel-Ignoranz, die in der Politik wieder auf dem Vormarsch ist, nicht zuletzt in den USA.
Der US-Präsident setzt in bester Steampunk-Manier, allerdings – wir sprechen schließlich von Donald Trump – gänzlich unironisch auf Kohle, Öl und Gas, auf heldenhaft schwitzende Männer an düster rußender Maschinerie. Und zur Beschleunigung von Kampfjets beim Start von Flugzeugträgern will der Möchtegern-König tatsächlich zurück zur bewährten Antriebsquelle Dampf.
Konkurrent China hingegen hängt zwar nach wie vor ebenfalls stark an der Kohle, drängt aber inzwischen mit Sonnenenergie, Windkraft und Batteriespeichertechnik im E-Schnellzugtempo in seine Solarpunk-Zukunft. Und hängt die USA damit ab.
Solarpunk aus Franken
Vom Reich der Mitte nach Mittelfranken: „Buntes Amt für Zukunft in Nürnberg“ (kurz: BAZN) heißt das Solarpunk-Projekt des Kunst- und Werklehrers Ulrich Schmitt aus – man errät es – Nürnberg. Wer hinter dem „Institut für die Visualisierung einer lebenswerten Zukunft“ (so das BAZN-Profil auf Instagram) ein Künstlerkollektiv oder gar eine ausgewachsene Organisation vermutet, sieht sich getäuscht: Im „bunten Amt“ arbeiten laut Schmitt neben ihm selbst ausschließlich „künstlich intelligente Mitarbeiter“. Sein fließigster Kollege ist, wie die oft vertraut anmutende Ästhetik der BAZN-Bilder verrät, die Bilderzeugungs-KI Midjourney.
Das einfache, aber überzeugende Konzept: BAZN zeigt Schmitts Heimatstadt im Solarpunk-Gewand. Dazu hat er Midjourney mit Input über Nürnberg gefüttert. Dank wohlüberlegter Prompts wandelt sich die mittelfränkische Stadt von der Sandstein- und Betonwüste in eine üppig grün wuchernde Oase – ohne aber Bilder konkreter Straßen oder Plätze zu liefern. BAZN soll die Fantasie anregen, keine Vorschläge zur Stadtplanung unterbreiten.
Der Solarpunk-Künstler wünscht sich, man würde der Natur wieder mehr „Klimaregulierung in der Stadt“ überlassen. Diese Utopie macht er anhand von Bildern einer friedlichen Metropole greifbar, die geprägt ist von Verkehrsberuhigung (Schmitts Nürnberg ist meist autofreie Zone), Grün- und Wasserflächen sowie naturnaher Architektur.
Wichtig ist ihm, „dass man sich in die Bilder hineinversetzen kann“, aber auch „dass alles durchaus umsetzbar wäre“, sagt Schmitt. Sein Ziel sei es, eine positive Vision und Sehnsucht nach solchen Orten zu generieren. Kerngedanke sei die (hier fränkisch formulierte) Frage: „Warum mach’ma des ned so?“ (Eine wichtige Frage, die man – egal in welchem Dialekt geäußert – beim Umgang mit der Klimakrise viel zu selten hört.) Sich von Ängsten leiten zu lassen, so Schmitt, könne nur kurzfristig klappen – wenn es hingegen langfristig funktionieren soll, müsse man positive Ideen verfolgen.
Die BAZN-Bilder reichen, ganz der Solarpunk-Ästhetik entsprechend, von Fantasy-Landschaften …

… über Science-Fiction-Utopien (eine Magnetschwebebahn in einer deutschen Innenstadt!) …

… bis hin zu Szenarien, die gut auch als Entwurf in einem Architekturwettbewerb zum Thema „ökologische Transformation der Innenstadt“ durchgehen könnten.

Bei BAZN geht es aber nicht nur um klimagerechte Architektur und Städteplanung, sondern auch darum, Räume für ein reges soziales Miteinander zu entwerfen. „Es kommt immer mehr öffentliches Leben mit rein“, sagt Schmitt.

Go Susty
Den Nürnberger Solarpunk-Kreativen habe ich anlässlich einer Vernissage im oberpfälzischen Neumarkt getroffen.

Ulrich Schmitt bei einer Ausstellung der BAZN-Bilder in Neumarkt.
Bild: (c) Dr. Wilhelm Greiner
Die kleine, aber feine Werkschau im Café Immergrün war ein Baustein der 5. Neumarkter Nachhaltigkeitswochen unter dem Motto „Go Susty“. Gemeint ist: „go sustainable“ (werde nachhaltig) – was aber leider wohl nur bereits Eingeweihte verstehen dürften.
Die 48 Veranstaltungen der Nachhaltigkeitwochen reichten – und reichen, denn die Event-Reihe geht noch bis 14. November – von Vorträgen und Repair Cafés über Radltouren und Familienaktionen zum Thema „ökologischer Fußabdruck“ bis hin zur Neumarkter Nachhaltigkeitskonferenz und der Besichtigung von Wärmepumpen-Installationen im Altbaubestand – was laut einem gewissen hysterisch-heizbehämmerten Hetzblatt nie und nimmer funktionieren würde, während viele Häuser nicht nur in Neumarkt längst beweisen: Es geht.
Von punktuellen Öko-Aktionen ist es noch ein weiter Weg zur konsequent nachhaltigen Stadtplanung – vom Ziel eines klimaverträglichen Miteinanders im naturnah-urbanen Ambiente ganz zu schweigen. Aber Ulrich Schmitts buntes Amt gibt mit seinen KI-Bildern immerhin fantasievolle Denkanstöße, wohin die Reise gehen könnte – ob in Nürnberg, Neumarkt oder nebenan.
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Bilder: (c) Ulrich Schmitt / BAZN (sofern nicht anderweitig gekennzeichnet)
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