„Die oberste Aufgabe der Deutschen Bahn ist es, dem Reisenden klarzumachen, wie schön und wie wichtig es ist, ein eigenes Auto zu haben.“ Diese Maxime ist schon seit geraumer Zeit meine Arbeitshypothese, um mir die chronischen Mängel, Pannen und Unzulänglichkeiten des Bahnbetriebs zu erklären, denen Reisende Tag für Tag, Stunde um Verspätungsstunde ausgesetzt sind. Ein chronischer Mangelzustand, den mehrere Verkehrsminister mittels Tatenlosigkeit und Investitionsstau von langer Hand eingefädelt und eifrig gefördert haben, und den einst eine unfähige Konzernführung zugunsten eines letztlich gescheiterten Börsengangs eskalieren ließ.
Geht man von obiger Hypothese aus, ergibt vieles plötzlich Sinn: nicht nur die zahllosen Verspätungen, auch die Gleiswechsel in letzter Minute, sodass Reisende nach langer Wartezeit doch noch mit ihren Koffern zum Zug hetzen müssen; zudem die Zugausfälle – auf der Strecke München-Nürnberg, an der ich wohne, sind ständig mehrere der sechs neu beschafften Skoda-Zuggarnituren gleichzeitig defekt, letzten Sommer waren es sogar einmal alle gleichzeitig, doch die Bahn war unfähig – oder unwillens? –, einen funktionierenden Notfahrplan zu etablieren. Geschlossene Bord-Bistros, überforderte Klimaanlagen und defekte Toiletten fügen sich ebenso nahtlos in dieses Bild ein wie – auch immer gern genommen – die „geänderte Wagenreihung“.
Doch kürzlich keimte in mir ein noch verdächtigerer Verdacht: Wenn dauernd dermaßen viel danebengeht, steckt dann vielleicht doch mehr dahinter als nur eine Indoktrinationskampagne für die Automobilindustrie? Vielleicht verbirgt sich hier ja das gar diabolische Geschäftsmodell.
Dieses stelle ich mir so vor:
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Sehr geehrte Geschäftspartner,
die DB InfraGO – als Tochter der Deutschen Bahn zuständig für den Schienennetz- und Bahnhofsbetrieb – kommt heute mit einem besonders attraktiven Angebot auf Sie zu: Reservieren Sie als Einzelhändler oder Gastronom schon jetzt Gewerbeflächen im künftigen neuen Münchner Hauptbahnhof! Denn die Deutsche Bahn garantiert, dass stets in großer Zahl Reisende vor Ort sein werden, die stundenlang auf verspätete Züge warten und deshalb nur dreierlei tun können: essen, trinken und shoppen.
Seit Jahrzehnten verfolgt die Deutsche Bahn konsequent das Ziel, dem Flugverkehr Konkurrenz zu machen. Dabei geht es längst nicht nur um schnelle ICE-Verbindungen. Vielmehr bildet die Bahn auch das Ambiente des Flughafens möglichst genau nach. Das bedeutet: Reisende verfügen am Startpunkt über reichlich Wartezeit, die zum üppigen Konsumieren verleitet.
Diesem Gesamtziel nähert sich die Bahn in Riesenschritten. So stellten wir 2024 den Unpünktlichkeitsrekord der letzten 20 Jahre auf: Stolze 37,5 Prozent unserer Fernzüge waren verspätet – und bis sechs Minuten Verspätung definieren wir Fahrten als „pünktlich“, die echten Zahlen sind also noch besser! Das heißt für die Wartenden: mehr Zeit zum Flanieren und Konsumieren! Grundlage dieses einmaligen Erfolgs ist unsere Infrastruktur mit einem Investitionsstau, der in der Reisebranche seinesgleichen sucht.
Informieren Sie sich also noch heute über Ihre Möglichkeiten, Gewerbeflächen am künftigen Münchner Hauptbahnhof zu pachten! Der Abriss der alten Schalterhallte wurde 2019 abgeschlossen, schon 2026 soll hier ein vierstöckiger Interims-Bahnhof stehen. Der Neubau soll dann ab 2036 seine Türen für Wartende öffnen, doch wir können Ihnen versprechen: Auch das wird sich standesgemäß erheblich verzögern.
Also handeln Sie jetzt und nehmen Sie Kontakt mit uns auf!
Ihre DB InfraGO
Der Verspätungsdienstleister Ihres Vertrauens – Wir verstehen Bahnhof
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Foto: Renate Trujillo