Sicherheit im Fadenkreuz

Wir müssen über Sicherheit reden. Nein, ich meine nicht illegale Immigration oder islamistische Anschläge, sondern ein anderes Schreckgespenst, das gerade wieder mit rostiger Kette rasselt: Reaktorsicherheit.

Am Vortag der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) meldete die Ukraine einen Drohnenangriff Russlands auf die Schützhülle der Reaktor-Ruine von Tschernobyl. Das war wohl eine Warnung Putins an den Westen: „Werdet mal nicht übermütig da drüben in München, denn ich könnte noch ganz anders!“

Der Vorfall ging völlig unter im Trubel um anti-europäische Äußerungen von J.D. Vance, einem der Schergen Donald Trumps, die derzeit fröhlich die Institutionen der US-Demokratie demontieren. Doch der Drohnenangriff rief in Erinnerung, wie verwundbar Kernkraftwerke sind. Und dies in Zeiten, in denen manche Politiker den allseits abgeschalteten Atomkraftwerken nachtrauern und eine reaktionäre Rückkehr zum Reaktor fordern.

Ein Rückblick

Wir erinnern uns: Die Kernschmelze in Tschernobyl 1986 war ein katastrophaler Unfall der Störfall-Maximalstufe 7. Bei den Löscharbeiten wurden Dutzende tödlich verstrahlt, Tausende Krebstote in Europa gehen laut Fachleuten auf die radioaktive Wolke aus der Ukraine zurück. Dennoch dauerte es bis zur nächsten Level-7-Katastrophe, der Kernschmelze in Fukushima, bis die Bundesregierung unter Angela Merkel 2011 den Atomausstieg beschloss. Dies setzten Merkels Kabinette und dann die Ampel-Koalition nach Plan um, die Laufzeit der letzten drei Kraftwerke wurde nur wegen der Energiekrise aufgrund des Ukraine-Kriegs ein paar Monate verlängert. (Finde die Pointe!)

Das AKW ist hierzulande somit Geschichte. Dennoch betonen einige weiterhin, wie sauber und sicher die Atomkraft selig doch sei. Sie kann aber nur so lange sicher sein, bis ein technischer Mangel auf menschliches Versagen trifft (Tschernobyl) oder eine unerwartete Naturkatastrophe wütet (Fukushima). Ganz zu schweigen davon, dass radioaktiver Sondermüll über Jahrtausende sicher verwahrt sein will – und das in einem Land, das nicht einmal einen Berliner Flughafen ohne Blamage auf die Betonbeine stellen kann.

Ein kleiner Wink

In dieser Lage nun Putins freundlicher Hinweis: Kernkraftwerke sind nicht darauf ausgelegt, einem militärischen Angriff standzuhalten. Sie tragen ein Fadenkreuz auf der Betonkuppel. Wir leben in Zeiten, in denen sich „Männer, die die Welt verbrennen“, mit Großmachtsphantasien überbieten. Schon allein deshalb: Wer heute noch auf Kernkraft setzt, muss seinen Kopf so tief in den Sand gesteckt haben, dass jeder Weitblick in schwarzer Nacht versinkt.

Nicht umsonst gehören AKWs sogar laut Energieversorgern zum Alteisen, zumal sie ohne massive Staatszuschüsse hoffnungslos unwirtschaftlich wären. Die Wende zu erneuerbaren Energien wiederum schreitet schnell – für deutsche Bürokratieverhältnisse sogar rasant – voran. Auch gibt es längst Batteriespeichertechnik, um die von AKW-Fans in Dauerschleife diskutierte „Dunkelflaute“ zu vermeiden. Es fehlt nur der politische Wille, die Speicher großflächig auszubringen. Bis dahin kauft man eben Strom zu. Dies ist übrigens kein Drama – eben dafür wurde Europas gemeinsamer Strommarkt konzipiert.

Denn wir „müssen“ keinen Atomstrom aus Frankreich beziehen, wie Kernkraft-Fanboys gerne phantasieren. Es ist nur mitunter schlicht billiger, als lokale Gaskraftwerke hochzufahren. Nennt sich Marktwirtschaft. Umgekehrt nimmt Frankreich im Hochsommer auch gerne unsere Sonnenenergie – wenn nämlich mal wieder ein Drittel der veralteten französischen Reaktoren defekt ist, während ein weiteres Drittel wegen Hitze und Dürre kein Kühlwasser aus den Flüssen entnehmen kann.

Ein Gedankenspiel

Die Älteren werden sich erinnern, dass Angela Merkel einst für ein paar Monate „Klimakanzlerin“ war und per Schiff gen Norden fuhr, um sich vor dekorativer Gletscherscholle ablichten zu lassen. Hätten wir damals schon beschlossen, die Transformation der Energieversorgung (und idealerweise der ganzen deutschen Wirtschaft) konsequent anzugehen, dann gäbe es heute ein landesweites Netz erneuerbarer Energiequellen und Speichereinrichtungen – und Millionen E-Autos, die dank bidirektionaler Lademöglichkeit (auch dies technisch längst machbar) jederzeit als Pufferspeicher dienen können. Dies hätte uns die Gaskrise ebenso erspart wie das Dunkelflauten-Gemunkel.

Nun stellt sich die Frage: Wollen wir, wenn auch mit Verzug, endlich die Transformation zur nachhaltigen Volkswirtschaft vollenden oder träumen wir lieber von einer Rückkehr in die 1960er-Jahre (je nach Partei auch in die 1930er)? Welcher Ansatz wird in Deutschland wohl für mehr Stabilität sorgen – und für mehr Schutz vor den Auswirkungen eskalierender Klimaüberhitzung?

Ich wünsche uns allen weniger Köpfe im Sand und weniger populistisches Geblöke, hingegen mehr Weitblick, mehr Tatkraft und mehr Zuversicht. Sonst fährt Deutschland gegen die Wand – mit Sicherheit.

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Titelgrafik: Dr. Wilhelm Greiner