Selbst wenn man nicht an Astrologie-Hokuspokus glaubt: Jeder kennt die Tierkreiszeichen Löwe, Fische, Steinbock und Co. Dabei haben andere Konstellationen deutlich konkreteren Einfluss auf unser Leben, etwa StarLink und bald auch Amazons Projekt Kuiper, handelt es sich hier doch um Satellitennetzwerke für die Weitverkehrs-Kommunikation. Diesen US-Anbietern will Neuling Rivada Space Networks mit Hauptsitz in München nun Konkurrenz machen: Die Münchner planen eine eigene Satellitenkonstellation.
In Ludwig Thomas Satire „Ein Münchner im Himmel“ landet Dienstmann Alois nach seinem Tod in wolkigen Sphären, nur um enttäuscht festzustellen, dass es dort weder Bier noch Schnupftabak gibt. Vielmehr müssen die Engel nach striktem Stundenplan frohlocken und Hosianna singen. Letzteres praktiziert „Engel Aloisius“ dann mit derart lauthals polterndem Grantler-Elan, dass Gott ihn zurück nach München schickt, um der bayerischen Staatsregierung göttliche Ratschläge zu übermitteln. Der durstige Heimkehrer schafft es aber leider nur bis ins Hofbräuhaus, weshalb die bayerische Regierung, so Thoma, immer noch auf göttliche Eingebung wartet. Aufmerksame Beobachter des Politbetriebs in Bayern wissen, dass sich daran seit jenem Vorfall anno 1911 nicht viel geändert hat.
Nun, über 100 Jahre später, wagen sich erneut Münchner in jene Sphäre vor, die ganz offensichtlich nach dem bayerischen Löwen „LEO“ benannt ist. Auch wenn dies laut irgendwelchen außerbayerischen Wichtigtuern für „Low Earth Orbit“ steht und eine Umlaufbahn in der Höhe von ca. 1.050 km beschreibt.
Rivada will eine Alternative zu StarLink & Co. aufbauen: ein sicheres satellitengestütztes Netzwerk in und für Europa. Die Münchner verfolgen ein ungewöhnliches Konzept. Sie wollen eine LEO-Konstellation aus 600 Satelliten etablieren, die Ende-zu-Ende-Funkverbindungen ermöglicht. Denn heutige Satellitennetzwerk-Betreiber verwenden laut Rivada-Angaben terrestrische Netze in Kombination mit Satellitenkommunikation, dabei Letzteres nur für die erste oder letzte Meile, wo es eben anders nicht geht; eine Satellitenübertragung nur auf der ersten Meile einzusetzen ist aber laut Aussagen aus dem Umfeld der Münchner „wie mit dem Rolls Royce zum Bus zu fahren“.
Nun dürfen allerdings nicht einmal waschechte Bayern einfach so Satelliten in den Himmel schießen. Dafür braucht’s, das hätte uns auch Engel Aloisius schon sagen können, eine Lizenz. Zefix!
Zum Glück konnte Rivada sich eine solche besorgen, und zwar in … Liechtenstein. Doch tatsächlich: in Liechtenstein. Der Zwergstaat ist zwar nicht für Raumfahrtambitionen bekannt, aber auf den zweiten Blick dennoch eine logische Anlaufstelle. Schließlich ist man im alpinen Fürstentum auf Stiftungen und andere lukrative Formen der „Steueroptimierung“ spezialisiert und hat deshalb gar keinen Bedarf, selber Satelliten für teures Geld in irgendeine Umlaufbahn zu bugsieren.
Mit der Lizenz des geschäftstüchtigen Kleinststaats wandte sich Rivada an die zuständige internationale Behörde, das ITU Radio Regulations Board. Letzten Dezember genehmigte dieses das Projekt. Damit tickt für die Münchner nun die Uhr, hat doch eine solche Lizenz, anders als göttliche Ratschläge, ein Verfallsdatum. Denn weil diverse Nationen früher ihre Lizenzen bunkerten, führte die ITU 2019 Meilensteine für die Errichtung von LEO-Satellitenkonstellationen ein, die für eine gewährte Lizenz zu erreichen sind.
Countdown läuft
Zunächst musste Rivada nachweisen, über ausreichend Geldmittel für Aufbau und Betrieb der Konstellation zu verfügen. Offizielle Zahlen zur Größe seiner Schatztruhe nennt der Anbieter nicht, aber der ITU hat’s offenbar gereicht. Außerdem mussten die Münchner Verträge mit einem Satellitenhersteller und einem Launch-Betreiber vorweisen können.
Für die Produktion setzen sie auf Terran Orbital, einen Spezialisten für kleinere und mittelgroße Off-the-Shelf-Satelliten, den Vertrag für die Ins-All-Schießerei schloss man mit SpaceX. Dies ergab eine „Coopetition“-Konstellation mit dem US-amerikanischen Konkurrenten, betreibt dieser doch mit StarLink sein eigenes Satelliten-Tierkreiszeichen.
Auch mit dem anderen Wettbewerber, Amazon, besteht eine Geschäftsbeziehung, denn Rivada ist Kunde bei Amazon Web Services. Damit liegt die Vermutung nahe, dass der Anbieter auch sein Space Operations Center auf AWS betreiben will. Schließlich erfordert es einiges an IT, um ein Satellitennetzwerk zu unterhalten. Da bietet sich die Cloud an. Selbst wenn Vorbild Aloisius einst froh war, von der Wolke schnell wieder zum Lokalbetrieb remigrieren zu können.
Vertraglich ist hier also alles in trockenen Tüchern. Aber noch ist es zu früh, um zu frohlocken und Hosianna zu singen. Zwei Meilensteine sind noch zu erreichen: Bis 2026 müssen 50% der geplanten Konstellation im Orbit kreisen, also 300 von letztlich 600 Satelliten; bis 2028 muss das neue Sternbild komplett sein, sonst verfällt die Liechtensteiner Lizenz. Laut Rivada-Angaben sind übrigens nur die erstgenannten 300 Satelliten für den hochverfügbaren Konstellationsbetrieb auf 24 Bahnen inklusive Ersatzsatelliten pro Bahn erforderlich. Das zweite 300er-Kontingent diene nur dazu, die Kapazität zu steigern.
Ein Test-Launch ist für Ende dieses Jahres angesetzt, der erste Satellit für den Produktivbetrieb soll nächstes Jahr den Weg zum LEO finden. Das Sternzeichen Löwe bekommt dann also ganz neue, blau-weiß-rautierte Gesellschaft.
Erste Kunden in Sicht
Der bayerische LEO stürmt voran: Es gibt bereits MoUs (Memorandum of Understanding, Absichtserklärung) seitens potenzieller Reseller, noch dieses Jahr will man das in Verträge gießen. Und letzten Monat hob Rivada ein Customer Advisory Board (CAB) aus der Taufe, um sich mit seinen Kunden abzustimmen. Schließlich zielt der Anbieter auf Organisationen mit besonders hohen Anforderungen an Verfügbarkeit und Sicherheit – darunter solche, die nicht wollen, dass ihr Datenverkehr durch fremde, potenziell nicht ganz so freundlich gestimmte Nationen läuft.
Zu Rivadas Zielgruppe zählen Kritis-Betreiber (eine doppelte Glasfaseranbindung hilft schließlich nichts, wenn der Bagger kommt), multinationale Konzerne, die Luft- und die Seefahrtbranche sowie Regierungsorganisationen. Denn Regierungen wollen z.B. mit ihren Botschaften am liebsten ausschließlich wohlverschlüsselt über wolkige Sphären kommunizieren. Vielleicht klappt’s ja dann eines Tages doch noch mit den himmlischen Eingebungen.
*****
Hat Ihnen dieser Text gefallen? Dann erzählen Sie doch einem Menschen davon, den das Thema ebenfalls interessieren könnte! Denn liebevoll von Hand erstellte Inhalte verbreiten sich am besten per Mundpropaganda.
Bild: Dr. Wilhelm Greiner, KI-generiert mittels NightCafé