„On a dark desert highway, cool wind in my hair …“ Mit einer entspannten Autofahrt, obschon auf bedrohlich dunkler Straße, beginnt „Hotel California“, der siebzehntausend Mal gehörte Gassenhauer der Eagles. Der Wüstenweg führt den Erzähler direkt in die Society-Szene Kaliforniens, beschrieben als verlockendes, aber alptraumhaft kafkaeskes Hotel: „You can check out any time you like, but you can never leave“ – man kann jederzeit auschecken, kommt aber doch nie raus. Laut einem Mozilla-Report verhält es sich mit heutigen PKWs ähnlich – und zwar in puncto Datenschutz.
„Moderne Autos sind ein Datenschutz-Alptraum“, so der Report der Mozilla Foundation mit dem vielsagenden Titel „Es ist offiziell: Autos sind die schlechteste Produktkategorie, die wir je auf Datenschutz überprüft haben“. Allen – in Worten: allen – 25 untersuchten Herstellern pappte Mozilla sein „*Datenschutz nicht inbegriffen“-Warnsiegel auf die Windschutzscheibe.
Jede untersuchte Automarke sammelt laut dem Report mehr personenbezogene Daten, als die Interaktion des Kunden mit dem Fahrzeug oder Hersteller es erfordert. Tesla erhielt sogar bei jeder Verstoßdisziplin ein dickes Minus. „Wir können gar nicht genug betonen“, so das Forscherteam, „wie schlimm und abnormal es ist, dass ein kompletter Produkt-Guide Warnhinweise erhält.“ Zum Vergleich: Mozilla warnte einst vor 63 Prozent der untersuchten Apps für psychische Gesundheit – und derlei Apps sind notorische Datenschutzignoranten.
In ihren Nutzungsbestimmungen – ihr wisst schon, die ellenlangen Texte, die man beim Installieren neuer Apps genervt wegklickt – räumen sich 21 der 25 Autokonzerne das Recht ein, personenbezogene Daten an Dienstleister weiterzugeben. Also auch an Datenhändler. 19 erklären sich dabei gleich für befugt, die Daten zu verkaufen. Und Autohersteller erfahren viel mehr über ihre Kunden, als es zunächst scheint, wenn diese fröhlich, kühlen Wind im Haar, über nächtliche Wüstenautobahnen gen Kalifornien brettern.
Get your kicks on Route 66
Natürlich weiß das Auto dank Navi, wer wann wohin fährt, und per On-Board-Entertainmentsystem, welche Musik man dabei hört – schon dies versilberbare Informationen. Der Bordcomputer protokolliert haarklein Tempo und Fahrstil des Nutzers. Zudem tauscht sich der PKW mit dem Smartphone des Fahrers aus. So erhält er potenziell Zugriff auf alles, was dort auszulesen ist. Auf dieser Basis können die Konzerne, schlaue Algorithmen machen’s möglich, Rückschlüsse ziehen über Interessen, Charakter und Intelligenz ihrer automobilen Schäfchen – und weit mehr. Bei Nissan und Kia zum Beispiel umfassen die Nutzungsbedingungen laut dem Report ausdrücklich Daten über sexuelle Aktivität, und sechs Hersteller räumen sich das Recht ein, genetische Informationen zu sammeln.
Der Sog des Datenstrudels erfasst auch die Passagiere. Nissan erklärt Fahrzeughalter deshalb im Kleingedruckten für verpflichtet, Mitreisende über die Datennutzung des Autos aufzuklären. Ja nee, is’ klar.
Heute wäre das 90er-Jahre-Roadmovie „Thelma und Louise“ laut dem Report vorbei, kaum dass man das Popcorn angeknabbert hat: Das Auto hätte der Polizei sofort den Standort verraten. Und ihr wohl auch gleich von Thelmas One-Night-Stand erzählt.
Bei Überwachungskameras und anderem „Smart Home“-Gelumpe sind viele längst misstrauisch angesichts des Datenvolumens, das die ach so hilfreichen Helferlein sammeln. Das Objekt der Begierde mobilitätsfreudiger Konsumenten aber ist auf dunkler Wüstenstraße leise ins Bild gerollt und hat quasi im Vorbeifahren eine prominente Stellung in der Datenhandel-Mafia erobert.
Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn
Bei uns in Deutschland kann sowas aber nicht passieren, hier schreibt die DSGVO Datensparsamkeit vor! Datensparschweine zu schlachten geht nur im Hotel California, aber gar nie in der Pension Garni zu Wolfsburg oder im Untertürkheimer Ein-Sterne-Hotel! Und auch die Audi-Hoteliers in Ingolstadt würden doch mit Telemetriedaten nie etwas Illegales anstell… Oh.
Wie bei jeder „smarten“ Technik, so gilt auch für das Auto: Wir wissen nicht, welche Daten die Anbieter über uns sammeln und was sie damit treiben. Das Problem: Ohne Smart-Home-Gadgets lässt sich’s locker leben, ohne PKW aber ist das für viele schwieriger. Und bei Tesla zum Beispiel kann man zwar der Datennutzung widersprechen, doch der E-Autobauer warnt mit dunkel dräuender Miene, dass dann Kernfunktionen ausfallen, darunter die Software-Updates – bei Datenschutz Totalversagen.
„Relax, said the nightman, we are programmed to receive“, sangen die Eagles – entspannt euch, wir sind eben auf Empfang programmiert. Heute müsste es heißen: Wir sind auf Datenversand programmiert. Denn aus einem Auto kann man aussteigen, nicht aber aus der kafkaesken Datensammel-Orgie vernetzter Technik. Also gleich mal nachschauen, welchen abstrusen Bedingungen wir beim Autokauf achtlos zugestimmt haben! Und hoffen, dass die DSGVO es schon richten wird.
Oder halt mit Vollgas in Richtung Abgrund rasen wie einst Thelma und Louise, Radio auf laut drehen und mitsingen: „Welcome to the Hotel Nissan-Tesla …“
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Bild: Dr. Wilhelm Greiner, KI-generiert mittels NightCafé
Cartoon: (c) Wolfgang Traub