„I foa o auf siemafuchzga Chevy.
I foa o auf laute Gitarrn.
So wia’s mi heit hod,
So hod’s mi imma.
I leb mit’m Rock’n’Roll,
Glaub ma, i leb ned allaan.“
„57er Chevy“ ist Günter Brödls geniale Übertragung des Eric-Clapton-Songs „Rock’n’Roll Heart“ ins Wienerische. (*Übersetzung für Leser aus dem ebenso hohen wie hochdeutschen Norden: siehe Textende!) Verfasst hat Brödl den Liedtext für die von ihm erfundene Rockmusiker-Kunstfigur Ostbahn Kurti, jahrzehntelang verkörpert vom kongenialen Entertainer Willi Resetarits und begleitet von der Band Die Chefpartie. Die Sehnsucht nach chromglänzenden Amischlitten war in Wiener Rock’n’Roller-Kreisen der 1980er-Jahre offenbar so groß wie heute die des Büromenschen nach der Workation unter Palmen. Gehen wir also mit einem nostalgischen Clapton-Song auf die Suche nach dem Büro der Zukunft.
Ein oller Tesla
Ein Gedankenexperiment: Ein Tesla Model 3, aber im Look eines 1957er Chevrolet Bel Air Cabrios. Also mit Heckflossen, Weißwandreifen auf Chromfelgen und mit Sitzen, die locker auch als Fernsehsessel durchgehen würden. Natürlich ohne Airbags und anderen lästigen Schnickschnack, dafür mit Plüschwürfeln am Rückspiegel. Das alles für nur das Dreifache des Listenpreises!
Und das Beste: Für nochmal 50 Prozent Aufpreis gibt’s dazu alle Gebrauchsspuren, die man bei einer US-Benzinschleuder aus den 50ern erwarten kann, also abgewetzte Ledersitze, Dellen und Schrammen im Blech, rostige und teils sogar durchgerostete Stellen. Dazu verdreckt wie 66 Jahre Cruisen auf der Route 66. Aber mit Zertifikat, dass jede Macke handverlesene, handramponierte Handarbeit ist!
Klingt das verlockend? Autofans, die bei „57er Chevy“ große Augen, aber bei „durchgerostet“ einen Hauch von Magenkrampf bekommen haben, sollten wissen: Dieses Geschäftsmodell floriert – nicht bei Autos, aber bei elektrischen Gitarren. E-Gitarren der US-Traditionsmarke Fender zum Beispiel erhält man aus deren Meisterwerkstatt (Custom Shop) als individuell handgefertigte Repliken von 50er- oder 60er-Jahre-Manufakturgitarren. („Manufaktur“ bezeichnet die Vorstufe zur Fabrik mit damals noch hohem manuellem Arbeitsanteil, auch wenn es heute als ach-so-trendiges Marketing-Synonym für „Handwerk“ dient, da dieses Wort wohl zu sehr nach Staub und Schweiß müffelt.)
Mopedgitarren
Fenders Custom Shop liefert Instrumente niegelnagelneu, aber auch in Varianten von „leicht angenagt“ bis „mit’m Moped durch die Kiesgrube gezogen“ (Beispiel: siehe hier). Während Fenders Standardinstrumente aus US-Fertigung fabrikneu zu Preisen ab 1.350 Euro über den Tresen gehen, legt man für eine solche „Relic“-Gitarre (relic = Relikt) mit manueller Antiquierung („Aging“) und originalgetreuer – sprich: veralteter – 50er-Jahre-Tontechnik locker 4.000 Euro aufwärts hin.
Woher, so fragt der Autoliebhaber, während er liebevoll seine Alu-Sportfelgen kärchert, kommt die Bereitschaft der Gitarreros, für geschrottete Produkte einen Aufpreis zu zahlen, noch dazu einen derart happigen? Der Grund: Eine bestimmte Klientel von Gitarrenkäufern möchte liebend gern ein Instrument aus der Ära ihrer großen Gitarrenhelden ihr Eigen nennen, doch ein solches hat schnell mal ein fünfstelliges Preisschildchen, selbst ohne prominenten Vorbesitzer. Also ersteht man einen Nachbau – und besagte Helden wie Jimi Hendrix, Stevie Ray Vaughan oder Gary Moore gingen eben oft recht handgreiflich mit ihrem Handwerkszeug um, während der damals übliche Nitrozellulose-Lack der Instrumente selbst ohne Hendrix’sche Spezialbehandlung schnell fröhlich drauflos krackelierte.
Kurz: Der wohlsituierte E-Gitarrenspieler oder -sammler nimmt für das Gefühl einer originalgetreu abgenudelten E-Gitarre aus der „guten alten Zeit“ gerne mal richtig Geld in die Hand. (Der Autor dieser Zeilen hingegen ist eher Fan eigenständigen Gitarren-Agings mittels Unbeholfenheit und Gürtelschnalle.) Der Custom-Shop-Käufer, so heißt es, erhält für seine Investition ein Instrument, das ihm das Gefühl vermittelt, er und seine Gitarre seien ein seit Jahrzehnten gut eingespieltes Team.
Besorgnis keimt auf
Um ihre gut eingespielten Teams machen sich derzeit viele Unternehmenslenker Sorgen: Zu Corona-Zeiten hatten sich die lange gescheuten Home-Office- und Remote-Work-Modelle flugs etabliert, und nun zieht es viele Beschäftigte nur halbherzig und/oder sporadisch zurück ins Büro. Da drohen Zusammenarbeit, Unternehmenskultur und Innovationsgeist zu bröckeln.
Deshalb reagieren besagte besorgte Lenker mal restriktiv mit Vorschriften à la „maximal zwei Tage Home-Office pro Woche“, mal mit Angeboten, die zu mehr Büropräsenz verlocken sollen: Gepflegtes Kantinenessen und Tischkicker gehören hier zum guten Ton, ebenso eine breite Auswahl an Arbeitsumgebungen von Lounge-Ecken bis zu speziellen Brainstorming-Räumen.
Die Rettung des Büros
Kai Grunwitz, CEO des IT-Dienstleisters NTT Germany, will das Büro „retten“. Denn während vor der Pandemie 60 bis 70 Prozent seiner Belegschaft vor Ort arbeiteten, sind es nun nur noch 20 bis 30 Prozent.

Grunwitz stebt mindestens 40 Prozent an, da der Austausch zwischen den Teams unter allzu viel Abwesenheit leide. In Videokonferenzen sei man zu schnell abgelenkt, was die Abstimmung erschwere. Zudem fehle vielen, insbesondere Neuzugängen, der soziale Kontakt im Unternehmen – mit dem Risiko höherer Fluktuation. „Das Halten und Gewinnen von Mitarbeitern geht mit Büros einfacher“, sagt er.
Eine Rundreise durch die Niederlassungen mit Pizza-Tag, um die Leute ins Büro zu locken, hatte keinen dauerhaften Erfolg. Auf Vorschriften zur Anwesenheit will er dennoch nicht setzen. Vielmehr baut NTTs Deutschlandchef heute darauf, Büroarbeit attraktiver zu machen.

Bei einem Pilotprojekt am Münchner Standort durften Beschäftigte die Bürolandschaft selbst gestalten, von der Raumplanung über die Konferenztechnik bis zum Farbkonzept. Das Ergebnis ist laut Grunwitz „eine höhere Arbeitsplatzbelegung als im Rest der Republik“, auch hätten die neuen Meeting-Räume einen gewissen „Coolness-Faktor“. Yeah, Rock’n’Roll, Baby!

Zudem achte man – ebenfalls ein Wunsch vieler Beschäftigter – auf Nachhaltigkeit, etwa mittels Smart-Office-Sensorik und Förderung von E-Mobilität. Verbleibendes Manko: „Der Kaffee im Büro ist noch nicht auf dem Level, das ich mir wünsche“, sagt er. Nicht umsonst sorgt mancher Arbeitgeber mit einem Barista an der Siebträgermaschine für die Espresso-Gourmets und die Latte-Macchiato-Fraktion seiner Belegschaft.

Jenseits der Remote-Arbeit
„Viele Tech-Firmen waren nie auf Remote-Arbeit ausgelegt“, sagte Uwe Peter, Chef von Cisco Deutschland, jüngst im Gespräch mit Andreas Weck von t3n. Er könne deshalb nachvollziehen, dass viele der Unternehmen einen „gewissen Drang verspüren, wieder zum Alten zurückzugehen“. Von der inzwischen bei Apple, Amazon & Co. wieder verbreiteten Büropflicht hält Peter aber nichts.
„Um ein persönliches Netzwerk zu pflegen, kann Präsenz im Büro grundsätzlich hilfreich sein“, schrieb Ciscos Deutschland-Chef schon zuvor in einem Gastkommentar; zugleich aber verwies er auf die „Realität, dass viele Beschäftigte schlichtweg größtmögliche Flexibilität von ihrem Arbeitgeber erwarten – auch weil sie lange Arbeitswege als Zeitverschwendung empfinden.“
Bei dem IT-Ausrüster, der auch den Münchner NTT-Standort mit Videokonferenztechnik ausgestattet hat, plädiert man deshalb für ein austariertes Nebeneinander von Büro- und Remote-Arbeit, Hybrid Work genannt, ermöglicht nicht zuletzt durch die hauseigenen Collaboration-Lösungen. Peters Message: „Hybrid Work ist heute ein zentraler Wettbewerbsvorteil im Kampf um die besten Talente – schon deswegen sollte kein Unternehmen darauf verzichten.“
Vorbild Custom Shop?
Was aber, wenn selbst coolste Büros und modernste Videokonferenztechnik nicht reichen, um hartnäckige Heimoffiziere wieder auf die vertraute Koppel der Bürohengste zu locken? Sollten Firmen dann, dem Vorbild des Fender Custom Shops folgend, beim Beschwören der guten alten Zeit noch drastischer in die Trickkiste greifen?
Hier böte sich eine Fülle von Möglichkeiten: „Brauner Bär“ statt veganer Lunchoption. Flokati statt Parkett. Nierentisch statt Stehpult-Ergonomie. Mechanische Schreibmaschine statt MacBook und PC. Dazu klare Hierarchien, Kleiderordnung, Stechuhr. Und natürlich die Anrede „Fräulein“ für alle Kolleginnen ohne Ehering. Selbst dafür gäbe es im Deutschland von 2023 wohl Zustimmung – zumindest seitens mancher Teile der Bevölkerung.
Ob sich damit aber eine so innige Teambindung erzeugen ließe wie jene zwischen einem Zahnarzt in der Midlife-Crisis und seiner Heavy-Relic Fender Stratocaster? Man weiß es nicht. Eventuell eignet sich ein radikales „Zurück zur guten alten Zeit“ für Büros ebenso wenig wie für E-Autos. Deren Geschichte reicht schließlich bis ins 19. Jahrhundert zurück – ohne dass Tesla je versucht hätte, täuschend echte Holzspeichen-Oldtimer zu bauen.
Aber wer weiß, vielleicht kommt er ja noch, der Tesla Custom Shop. In dessen Windschatten folgt dann sicher gleich der Custom-Shop-Büroausstatter und lässt die Herzen all derer höher schlagen, die nostalgisch von jener Ära schwärmen, als die Leute noch brav ins Büro gingen und die Autos noch Heckflossen hatten – mag auch das eine inzwischen so passé scheinen wie das andere.
Das Büroleben erfordert heute offenbar die Quadratur des Kreises: weniger Nostalgie, aber zugleich mehr Rock’n’Roll. Andernfalls krackeliert der Teamgeist in schönster Relic-Manier.
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*Auszug aus „57er Chevy“ auf Hochdeutsch:
„Ich fahr’ ab auf 57er Chevys.
Ich fahr’ ab auf laute Gitarren.
So wie ich heut’ drauf bin,
So bin ich immer drauf.
Ich leb’ mit dem Rock’n’Roll,
Glaub mir, ich leb’ nicht allein.“
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Titelbild: (c) NTT
Cartoon: (c) Wolfgang Traub
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