Rechenzentren: Auf Diät, aber hungrig

RZs haben ein Problem – ein sehr menschliches. Noch nie hatte der Mensch in wohlhabenden Ländern so guten Zugang zu gesunder Nahrung, dennoch haben Übergewicht und Adipositas laut Statista vor allem in den Industrieländern stark zugenommen. Ähnlich die IT: Nie waren Rechenzentren effizienter – doch zugleich werden RZs immer schwergewichtiger und ihr Energiehunger immer größer. Eine Diät, die tatsächlich anschlägt, ist nicht in Sicht.

Die Effizienz der Rechenzentren hat sich in den letzten Jahren versechsfacht. Das meldete der Branchenverband Bitkom jüngst unter Berufung auf eine Borderstep-Studie. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte: Die Digitalisierung sorgt hierzulande nicht nur für Big-Mac-Nachfrage nach Rechenleistung, sondern lässt zugleich den Energiebedarf der Rechenzentren aufgehen wie Hefeteig.

In Zahlen: Laut der Borderstep-Studie im Bitkom-Auftrag hat sich die Anschlussleistung hiesiger Rechenzentren von 2010 bis 2022 mehr als verdoppelt (von 1.131 auf 2.341 MW, ein Plus von … *zückt den Taschenrechner* … 107 Prozent). Der Strombedarf legte im gleichen Zeitraum hingegen laut dem Report nur um 72 Prozent zu (von 10,4 Milliarden kWh/a 2010 auf 17,9 kWh/a 2022). Auf der Waage steht dann aber doch ein fetter Anstieg um mehr als zwei Drittel.

„In der Tat ist der Strombedarf der Rechenzentren weniger stark angestiegen als die Anschlussleistung der IT-Geräte in den Rechenzentren“, sagt Ralph Hintemann, Partner und Senior Researcher am Borderstep Institut. Dies sei im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Kühlung, Klimatisierung und USV (Unterbrechungsfreie Stromversorgung) im RZ deutlich effizienter geworden sind.

Einen glorreichen Siegeszug ungehemmten RZ-Fortschritts sieht er hier aber nicht: „Sicher wäre auch noch mehr möglich gewesen. Man hätte schneller effizientere Rechenzentren bauen können und alte ineffiziente Rechenzentren modernisieren oder außer Betrieb nehmen können“, sagt Hintemann. „Allerdings war in der Vergangenheit der Druck zum Energiesparen bei Rechenzentren noch nicht so hoch wie heute. Auch waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht so gestaltet, dass sich solche Effizienzmaßnahmen für die Betreibenden von Rechenzentren gelohnt hätten.“

Insbesondere Cloud-Services speisen das Wachstum, so die Studie: Aktuell machen Cloud-Rechenzentren mit 880 MW Anschlussleistung nach stetigem Aufwärtstrend 38 Prozent des RZ-Kuchens aus. Traditionelle Rechenzentren bilden weiterhin das größte Kuchenstück, aber es bröckelt an den Rändern: derzeit 1.360 MW, im Jahr 2020 waren es noch 1.400 MW.

Unter den hiesigen Kuchenstandorten dominiert nach wie vor der Großraum Frankfurt. Schließlich gibt’s da mit dem DE-CIX Europas größtem Netzwerkknoten, was auf RZ-Bereiber wirkt wie ein Dönerstand auf hungrige Handwerker in der Mittagspause. Knapp ein Drittel der deutschen RZ-Kapazitäten befinden sich in der Frankfurter Region, auf Platz zwei folgt Berlin.

Herausforderung ökologische Wende

Eine weitere gute Nachricht: Ein Großteil der hiesigen RZ-Betreiber bezieht laut Bitkom-Umfrage regenerativ erzeugtem Strom, mindestens die Hälfte der größeren kommerziellen Rechenzentren in Deutschland verfüge über Ökostromverträge. Klimakrise und EU-Klimaziele befeuern diese Entwicklung. Dennoch steht man beim Bitkom dem Projekt der Berliner Politik, die ökologische Wende im IT-Markt zu forcieren, mit strengem Blick, hochgezogener Augenbraue und gezücktem Nudelholz gegenüber.

Nach Berliner Plänen sollen alle deutschen RZs ab 2024 zu 50 Prozent mit Ökostrom laufen, ab 2027 vollständig. „Bis dahin ist die Energiewende in Deutschland nicht umgesetzt und es ist schlicht nicht ausreichend Strom aus regenerativen Quellen verfügbar“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Die RZ-Branche müsse also überproportional Ökostrom aufkaufen, dieser fehle dann andernorts.

„Die selektive Ökostrompflicht für Rechenzentren hat nicht die geringste Auswirkung auf Deutschlands Klimabilanz. Gleichzeitig verschlechtert sie die Standortbedingungen bei uns“, kritisiert Rohleder. Er verweist auf niedrigere Strompreise im Ausland. Allerdings: Trotz hoher deutscher Strompreise platzt insbesondere der schmerbäuchige RZ-Standort Frankfurt aus allen Nähten und treibt den örtlichen Stromversorger Mainova an die Belastungsgrenze.

Umstrittene Abwärmenutzung

Bei der Diskussion um die ökologische Wende im RZ-Markt erhitzt insbesondere die Abwärme die Bitkom-Gemüter, genauer: die in Berlin vorgesehene Vorschrift, dass RZs einen Teil ihrer Abwärme zur Weiternutzung anbieten müssen. 67 Prozent der RZ-Betreiber halten dies laut Bitkom-Umfrage grundsätzlich für richtig.

Das Problem: „Um Abwärme abgeben zu können, braucht es jemanden, der die Abwärme auch tatsächlich abnehmen kann und abnehmen will“, so Rohleder. „Allerdings fehlen vielerorts noch die dafür nötigen Fernwärmenetze der vierten Generation. Bleibt es bei den nun vorgesehenen Regelungen, können neue Rechenzentren zukünftig nur noch dort angesiedelt werden, wo solche Abwärmenetze vorhanden oder verbindlich vorgesehen sind.“ Dabei folge aber die Standortwahl bei Rechenzentren einer anderen Logik als die der Abwärmenetze.

Zudem könne man existierende Rechenzentren aufgrund ihrer Kühltechnik nur mit hohem oder gar sehr hohem Aufwand für Abwärmenutzung umrüsten. „In seiner aktuellen Form würde das Energieeffizienzgesetz den Rechenzentrumsstandort Deutschland gefährden und die Digitalisierung bremsen“, mahnt der Bitkom-Chef. Sein Verband plädiert deshalb dafür, Deutschland möge sich dem Ansatz der EU anschließen und von neuen Rechenzentren eine Kosten-Nutzen-Bewertung der Abwärmenutzung fordern.

„Die Kritik des Bitkom ist nachvollziehbar“, kommentiert Borderstep-Experte Hintemann. „Die Branche möchte sich ungern feste Kriterien für die Wahl der Standorte der Rechenzentren vorschreiben lassen. Vor allem, wenn diese Kriterien keinen direkten Bezug zum eigentlichen Rechenzentrumsbetrieb haben – und möglicherweise sogar negative Auswirkungen darauf. Das würden auch andere Branchen nicht wollen.“ Für bestimmte RZ-Typen wie Netzknoten in der Telekommunikation sei die Standortwahl zudem wenig flexibel und könne gegebenenfalls keine Rücksicht auf eine mögliche Abwärmenutzung nehmen.

„Das Ziel des Gesetzes, dass vor allem große Rechenzentren künftig nicht dort gebaut werden sollten, wo keine Abwärmenutzung möglich ist, ist aus meiner Sicht richtig und wichtig“, führt Hintemann aus. Die Frage sei, wie sich dies erreichen lässt.

„Ich persönlich hätte eine anreizorientierte Regelung besser gefunden“, sagt er. „Es sollte sich für Rechenzentren einfach lohnen, ihre Standorte so zu wählen, dass ihre Abwärme genutzt werden kann. Denkbar wären zum Beispiel feste Vergütungen für die Abwärme, Vergünstigungen bei Strompreisabgaben oder geringere Anforderungen an den klimafreundlichen Strombezug. Auch ein gewisser Nachfragedruck wäre sicher hilfreich – so könnte die umfangreiche Nutzung von Abwärme ein entscheidendes Kriterium bei der öffentlichen Beschaffung von IT-Dienstleistungen sein.“

„Es gibt eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, die Abwärme aus Rechenzentren zu nutzen, auch wenn kein Fernwärmenetz vorhanden ist“, sagt Borderstep-Forscher Ralph Hintemann. Bild: Borderstep Institut

Der Blick des Borderstep-Forschers reicht dabei über die heiß diskutierte Fernwärme hinaus: „Es gibt eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, die Abwärme aus Rechenzentren zu nutzen, auch wenn kein Fernwärmenetz vorhanden ist“, sagt er. So reiche manchmal schon eine Nahwärmeleitung, um die Energie ans Ziel zu bringen. Dies könne insbesondere interessant werden, wenn sich kleine Edge-Rechenzentren verbreiten, deren Wärme sich dann in der unmittelbaren Umgebung nutzen lässt.

„Neben der Wärmeversorgung von Wohn- oder Bürogebäuden bieten sich aber auch andere Nutzungszwecke an“, so Hintemann weiter. „Ich denke da an Gewächshäuser, Algenfarmen, Fischzuchten oder Schwimmbäder. Auch möglich sind Anwendungen wie die Trocknung von Holz oder die Unterstützung chemischer Prozesse, die Wärme benötigen.“ Seine Hoffnung: „Wir haben in Deutschland ja viele intelligente Ingenieure – die finden sicher noch viel mehr interessante Lösungen.“

„Energie einzusparen liegt im ureigensten Interesse der Rechenzentren“, sagt Bitkom-Chef Rohleder. Außerdem weist der Verband darauf hin, dass das CO2-Einsparpotenzial durch Digitalisierung vielfach größer ist als ihr eigener CO2-Ausstoß, wie die Bitkom-Studie „Klimaeffekte der Digitalisierung“ zeigt.

Dennoch muss die Suche nach der optimalen Diät für den Energiehunger und in der Folge den CO2-Ausstoß der Rechenzentren weitergehen – schließlich droht der Digitalisierung sonst Treibhausgas-Adipositas. Und das sähe im Spiegel der Nachhaltigkeitsberichte gar nicht gut aus.

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(Dieser Beitrag erschien in einer früheren Fassung erstmals auf LANline.de.)

Cartoon: (c) Wolfgang Traub