Konversation statt Komplexität

Auf der alljährlichen Kunden- und Partnerveranstaltung Cisco Live in der Glücksspiel- und Konferenz-Betonhochburg Las Vegas verkündete Cisco-CEO Chuck Robbins den 20.000 Gästen vor Ort und dem Publikum draußen an den Streaming-Empfangsgeräten vom Erfolg und künftig zu erwartenden Erfolgen seines Konzerns. Die Kernaussage: Der IT-Einsatz soll sicherer, einfacher und nachhaltiger werden, vor allem – und das sollte nun nicht wirklich überraschen – mittels Cloud-Technologie und künstlicher Intelligenz (KI).

„CEO“ klingt sehr nach: „Hujuiui, da hat’s aber einer geschafft im Leben!“ So sehr, dass sich heute jeder Chef einer Zehn-Mann-Butze „CEO“ nennt. Dabei hängt ein Chief Executive Officer – wörtlich übersetzt: ein Haupt-Ausführungs-Offizier – letztlich an den Puppenspieler-Fäden der Anleger, der „Märkte“ (sprich: Banken und Börsenanalysten), der Weltwirtschaftslage und der öffentlichen Meinung – insbesondere seit den 1980er-Jahren, als zu „Trickle-down Economy“-Zeiten scheuklappige Shareholder-Value-Fixierung auf Kosten aller anderen Werte ihren rücksichtslosen Siegeszug begann. Seither müssen Firmenlenker – erst recht die CEOs globaler Konzerne – auf den Börsenkurs schauen wie das Kaninchen auf die sich aufrichtende Kobra.

„Ich durfte nicht auf die Bühne kommen, wenn ich nicht – wie oft noch mal? – ich glaube, sieben Mal in meinem Vortrag ‚KI‘ sage“, scherzte Cisco-Chef Chuck Robbins in seiner Keynote. Früher stellten sich laut seinen Auführungen alle Firmenlenker früher oder später die Frage: „Warum sind wir nicht in der Cloud?“ Dies, so Robbins, werde sich nun „auf Steroiden“ wiederholen, wenn es um künstliche Intelligenz geht. Cisco wolle „große Dinge“ mit KI leisten, aber, wie er betonte „auf verantwortungsvolle Weise“.

Ciscos CEO sieht seine Company im Zentrum des Zeitgeschehens: „Technologie ist der Schlüssel für alles, was wir in Zukunft tun werden“, postulierte er. „Man kann keine einzige Diskussion strategischer Natur mit irgendeiner Organisation über irgendein Element ihrer Strategie führen, ohne dass die Technologiekomponente ins Spiel kommt.“ Zugleich aber sei die Welt zunehmend kompliziert. Als Ziel rief Robbins deshalb aus: „Wir wollen alles sicher vernetzen, um alles zu ermöglichen, was immer Sie erreichen wollen.“ Das Problem dabei: Nicht nur die Welt, sondern auch Nutzung und Management von IT sind kompliziert geworden. Das muss also einfacher gehen, sonst wäre Ciscos Vorhaben nicht zu stemmen.

Die Stoßrichtung war damit klar. Ciscos Führungsriege – Liz Centoni (Chief Strategy Officer und verantwortlich für den Bereich Applications), Jeetu Patel (Security und Collaboration) sowie Jonathan Davidson (Networking) – brach dies dann auf die jeweiligen Produktneuerungen und Roadmaps herunter.

Netzwerk-Management per Cloud

Für einfacheres Netzwerken setzt Cisco künftig auf eine zentrale, Cloud-basierte Plattform: Ciscos Networking Cloud soll die übergreifende Verwaltung Cloud-basierter wie auch lokaler („on-prem“) Netzwerkdomänen ermöglichen. Damit soll sie überkommene Silos beseitigen helfen und zugleich die Arbeitslast des Fachpersonals reduzieren. Zu diesem Zweck gibt es jetzt ein einheitliches Nutzer-Interface mit Single Sign-on (SSO) für den Zugriff über Ciscos Netzwerk-Plattformen hinweg sowie ein API-Repository, um den automatisierten Datenaustausch der Plattformen zu ermöglichen.

Außerdem unternimmt Cisco neue Schritte, um seine Administrations-Tools der Meraki- und der Catalyst-Produktlinien zu vereinen: Erweiterungen des Meraki-Dashboards unterstützen nun mehr Funktionen für Catalyst-Switches, darunter eine CLI-Ansicht, Image-Management und erweitertes Troubleshooting. 

Im Security-Bereich soll Ciscos SSE-Lösung (Security Service Edge) namens Secure Access als zentrale Plattform den – der Name deutet es an – sicheren Zugang für jeden Standort, jedes Gerät und jede Anwendung bereitstellen. Cisco verspricht eine einfache Möglichkeit, auf alle (statt nur bestimmte) Anwendungen und Ressourcen zuzugreifen. Dazu leite die Software den Datenverkehr intelligent und sicher zu privaten und öffentlichen Zielen, ohne dass der Endanwender eingreifen müsste, etwa durch Aufbau eines VPNs.

Für hohe Sicherheit und Performance ist es elementar, stets den aktuellen Überblick über den Status des gesamten Netzwerk-Stacks zu haben. Cisco kündigte hierzu die allgemeine Verfügbarkeit seiner FSO-Plattform (Full-Stack Observability) an. Diese soll es Unternehmen erlauben, ein robustes Anwendungsökosystem auf der Basis einer offenen, erweiterbaren Architektur zu entwickeln.

Die neue bidirektionale Integration der beiden Cisco-Lösungen AppDynamics und ThousandEyes soll die Überwachung der digitalen Anwendererfahrung erleichtern. Zugleich soll sie helfen, Lücken in der Überwachung mit schnell umsetzbaren Empfehlungen zu schließen.

Die Cloud-App-Security-Lösung Panoptica schließlich bietet laut Cisco nun mehr Funktionen, die den gesamten Lebenszyklus Cloud-nativer Applikationen zu schützen: von der Entwicklung bis zum Einsatz in verteilten Multi-Cloud-Umgebungen. Die Integration von Panoptica in das FSO-Portfolio sorge für Echtzeit-Transparenz zur Priorisierung von Geschäftsrisiken.

Generative KI für Collaboration

Die von Chuck Robbins eingangs so launig eingeflochtene KI soll den Menschen vor allem im Collaboration- und Security-Bereich unter die Arme greifen. Der Konzern erweitert dafür seine Collaboration-Lösung Webex um Funktionen auf Basis einer generativen Konversations-KI, um die Bedienung zu erleichtern und die Produktivität des Beschäftigten zu steigern. So könne ein Benutzer per „Catch Me Up“-Feature verpasste Meetings, Anrufen, Chats etc. schnell nachholen. Mittels intelligenter Meeting-Zusammenfassungen mit den wichtigsten Punkten und To-dos sollen Meeting-Teilnehmer wie auch Personen, die nicht daran teilgenommen haben, erheblich Zeit sparen.

Bei dem Video-Messaging-Tool Vidcast ermittle KI Highlights und Kapitel, sodass man zügig zu den wichtigsten Teilen des Videos navigieren könne. Webex Contact Center wiederum biete dem Personal die Möglichkeit, digitale Chats mit Kunden automatisiert nachzubereiten, etwa für das Reporting oder die Übergabe an einen Kollegen.

Für die KI-Funktionen in Webex finden laut Cisco-Verlautbarung nur Daten Verwendung, für die der einzelne Benutzer Zugriffsberechtigung hat. Zudem berücksichtige die Software die Datenschutz- und Sicherheitsregeln der jeweiligen Datenquelle.

KI im SOC

Auch dem SOC-Team (Security Operations Center) soll generative KI zur Seite springen. In Ciscos Security Cloud sollen KI-Funktionen das Management von Firewall-Richtlinien vereinfachen. Ein SOC Assistant wiederum liefere den nötigen Kontext, damit Sicherheitsanalysten schnell die richtigen Entscheidungen treffen können. Dazu korreliere der KI-Assistent Informationen über die Lösungen der Security-Cloud-Plattform hinweg, erstelle Zusammenfassungen und gebe Handlungsempfehlungen.

Die Webex-Zusammenfassungen, das Richtlinien-Management und die SOC-Assistant-Zusammenfassungen werden laut Cisco bis Ende 2023 verfügbar sein.

Partnerschaften für mehr Nachhaltigkeit

Die Cisco Live fand dieses Jahr vor dem Hintergrund einer merklich eskalierenden Klimakatastrophe statt: Hunderte Waldbrände in Kanada tauchten sogar so weit entfernte Großstädte wie New York City in rötlichen Rauch. Cisco bemüht sich seit Jahren um mehr Nachhaltigkeit, nicht nur im eigenen Haus, sondern auch in der Lieferkette und beim Einsatz der Lösungen (siehe hier).

Demnächst soll Cisco Intersight mehr Einblick in den Energieverbrauch von Infrastrukturen bieten, darunter Rechenknoten, Server, Blades, Racks, Fabric Interconnects und Chassis. Das IoT Operations Dashboard wiederum dient dazu, Echtzeiteinblicke in vernetzte Geräte zu erhalten, selbst wenn sich diese in schwierigen oder weit entfernten Umgebungen befinden.

Mit Partnerschaften will der Konzern die Energieersparnisse und Effizienzgewinne, die der Einsatz von Cisco-Technik ermöglicht, in andere Gewerke tragen. Ein Beispiel: Technik für intelligente Gebäude. Eine gemeinsam mit Schneider Electric entwickelte Lösung soll Hauseigentümern und Gebäude-Managern mehr Durchblick verschaffen, um Energie-, Heizungs-, Lüftungs- und Klimasysteme besser steuern und optimieren zu können. Mit Lösungen wie diesen wolle man Partnern und Kunden helfen, ihre Nachhaltigkeitsziele schneller zu erreichen, so Cisco.

Solche Partnerschaften sind für Cisco somit ein sehr wichtiger Schritt: Erstens gilt es, die Nachhaltigkeitspower von Cloud, KI & Co. möglichst schnell auf die Straße zu bringen, um den Weg für klimaneutrales Wirtschaften zu ebnen, bevor die Menschheit ihr Habitat allzu dramatisch überstrapaziert hat; und zweitens sieht es danach aus, dass CEOs von Konzernen bei ihren Kundenveranstaltungen bald nicht mehr auf die Bühne dürfen, ohne in ihrer Keynote mindestens sieben Mal „Nachhaltigkeit“ zu sagen. Und dabei muss man dann handfeste Erfolge vorweisen können. Sonst werden nicht nur die Umweltschützer, sondern auch die Puppenspieler nervös.

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Bild: Cisco