Wir Revolutionskinder

Auf meiner allerersten Pressekonferenz – 1993, Yours Truly war damals Praktikant beim LANline-Schwesterblatt Inside OS/2 – stellte ein Startup namens Adobe eine neue Software mit dem schönen Namen „Acrobat“ vor. (Warum sind eigentlich originelle Software-Produktnamen ausgestorben? Seufz! 🙄) Acrobat kam mir sehr spannend vor: Das Tool ermöglichte es, im Portable Document Format (PDF) digitale Dokumente zu erstellen, unabhängig von Betriebssystem oder Applikation. Das papierlose Büro schien in Reichweite – Viva la Revolución!

Auf das papierlose Revolutionsbüro warten wir noch heute, aber einige andere IT-Revolutionen haben wir in den letzten Jahrzehnten ja miterlebt. Unseren Alltag umgewälzt hat der PC, kurz darauf das Internet und in den „Nuller-Jahren“ das Smartphone.

Derzeit erleben wir eine eher schleichende, aber nicht weniger revolutionäre Umwälzung: die Verbreitung künstlicher Intelligenz (KI). Wie haben uns schnell daran gewöhnt, Siri, Alexa und Google Assistant Fragen zu stellen oder Befehle zu geben, beim Online-Shopping Empfehlungen auf der Basis unserer Vorlieben zu erhalten, Videos auf YouTube automatisch untertitelt zu sehen etc.

Die IT-Security-Branche wiederum freute sich darüber, per KI Angriffsmuster und sonstige Unfreundlichkeiten im Netzwerkverkehr oder Benutzerverhalten aufspüren zu können. KI schien die Geheimwaffe, um Verteidigern endlich einen Vorsprung gegenüber der Angreiferseite zu verschaffen: Wir können dich nicht dauerhaft aus unserem Netzwerk fernhalten, aber sobald du Suspektes unternimmst, spürt unsere KI dich auf – Viva la Revolución!

Letzten November stellte dann OpenAI mit ChatGPT eine Konversations-KI vor, mit der man sich unterhalten kann wie mit einem vielseitig gebildeten Menschen – und die man mit allerlei Aufgaben betrauen kann. Künstliche Intelligenzbestien wie ChatGPT dürften unseren Alltag grundlegend verändern. Für die Security-Branche aber bedeutet die Verfügbarkeit von ChatGPT (obschon zuerst nur als öffentliche Testversion), dass nun auch Cyberkriminelle KI nutzen können: OpenAI hat zwar Hürden gegen Missbrauch einprogrammiert, doch die lassen sich überwinden. So wird zum Beispiel Phishing künftig dank KI deutlich überzeugender daherkommen.

Jede Revolution hat eben ihre Nebenwirkungen, und wenn man nicht aufpasst, frisst sie ihre Kinder.

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(Dieser Kommentar erschien erstmals als Editorial in LANline 01-02/2023.)

Bild: (c) Wolfgang Traub