Wind treibt Wolken an

Der Bedarf an RZ-Leistung wächst und wächst, und damit eskaliert auch der Strombedarf der Rechenzentren für IT-Betrieb, Klimatisierung und Kühlung. Vor dem Hintergrund der Klimakrise und der voranschreitenden Überhitzung unseres Habitats sind Ansätze dringend nötig, um die Digitalisierung nicht nur effizienter zu gestalten, sondern das Blatt in Richtung CO2-Neutralität zu wenden. Einen dieser Ansätze findet man bei Windcloud aus Schleswig-Holstein.

„Rechnen Sie mit Wind.“ Dieser augenzwinkernd doppeldeutige Slogan prangt in riesigen Lettern auf dem RZ-Gebäude des Providers Windcloud aus Enge-Sande – also nahe der Nordseeküste, wo es gerne mal eine steife Brise hat. Die Besonderheit des Rechenzentrums liegt laut CEO und Mitgründer Wilfried Ritter darin, dass es zu 100 Prozent mit regenerativer Energie läuft.

Natürlich weiß auch Ritter, dass der Strom in Deutschland aus einem europaweiten Stromnetzverbund mit heterogenem Strommix kommt; doch er betont: „Im Landkreis Nordfriesland liefert der Versorger 355 Prozent der Menge an regenerativer Energie, die der Landkreis benötigt. Davon sind 70 Prozent Windkraft, und alle Umspannwerke hier in der Nähe werden aus erneuerbarer Energie gespeist.“

Rechenzentren im Aufwind

Wie wichtig Strom aus regenerativen Quellen für den RZ-Markt ist, zeigen folgende Zahlen: Laut einer aktuellen Analyse mehrerer Studien mit Peer-Review dürfte der Anteil der Informations- und Kommunikationstechnologie am weltweiten Treibhausgas-Ausstoß zwischen 2,1 und 3,9 Prozent liegen, damit wohl höher als – so ein gern gewählter Vergleich – der der Flugindustrie.

In Deutschland stieg der Strombedarf der Rechenzentren 2020 laut Berechnungen des Borderstep Instituts gegenüber 2019 um sieben Prozent auf 16 Milliarden kWh. „Damit ist der Energiebedarf im Vergleich zum Vorjahr um eine Milliarde kWh angestiegen, trotz der Wirtschaftskrise durch die Corona-Pandemie“, erläuterte Borderstep-Forscher Dr. Ralph Hintemann im März 2021.

Dass der Bedarf an RZ-Leistung auch – oder erst recht – in Pandemiezeiten wächst, ist beim zweiten Hinsehen kein Wunder: Zwar mussten manche Branchen wie Gastronomie, Tourismus und auch manche Produktion pausieren, doch alle anderen schwenkten um auf verstärkten Home-Office-Einsatz, auf mehr Remote Access, mehr virtuelle Desktops, mehr Web-Conferencing, mehr Cloud-Services – sprich: mehr Rechenleistung aus Datacentern. Und wer abends nicht in die Kneipe oder ins Kino gehen konnte, verbrachte seine Zeit eben mit Social Networking, Video-Streaming, Online-Gaming oder in Zoom-Sessions – und bezog erneut mehr Rechenleistung aus Datacentern.

„Auch die Corona-Pandemie konnte die Nachfrage nach Rechenzentrumsleistung nicht bremsen – im Gegenteil. Den IT-Ausrüstern von Rechenzentren bescherte das Jahr 2020 teilweise Rekordumsätze“, erläuterte Hintemann. „Insbesondere Cloud-Anbieter profitierten im vergangenen Jahr und werden wohl auch langfristig gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen“, sagt der Analyst.

Noch drastischer stellt sich die Entwicklung – weitgehend unabhängig von Corona – im Jahrzehntvergleich dar: Allein die IT-Komponenten (Server, Storage und Netzwerk) hierzulande benötigten mit zehn Milliarden kWh im Jahr 2020 laut Borderstep fast 75 Prozent mehr elektrische Energie als noch 2010 (damals 5,8 Milliarden kWh) – und dies, obwohl der IT-Betrieb immer energieeffizienter läuft: Der durchschnittliche PUE-Wert (Power Usage Effectiveness) deutscher Rechenzentren sank zwischen 2010 und 2020 laut Borderstep von 1,98 auf 1,63.

Angesichts der allgegenwärtigen Digitalisierung quer durch alle Branchen wie auch im Consumer-Segment ist mit rasant wachsendem Energiehunger der RZ-Betreiber zu rechnen: „Trotz deutlicher Effizienzgewinne wird der Energie- und Ressourcenbedarf der Rechenzentren in Deutschland bis 2030 voraussichtlich um mehr als 50 Prozent steigen“, prognostizierte Borderstep Ende 2019.

Und das ist ein Problem. Denn dass wir in Zeiten der Klimaüberhitzung leben, mit für die Menschheit zunehmend erschreckenden Folgen, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben. Zur Erinnerung: Erst diesen Sommer – der auch uns Extremwetter brachte – stellte der aktuelle IPCC-Report (International Panel on Climate Change) fest, dass jedes der letzten vier Jahrzehnte wärmer war als alle anderen zuvor.

Grund ist der Anstieg der Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre, und dieser ist „eindeutig auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen“, so der IPCC-Report. Diese Analyse ist – mögen auch interessierte Kreise inklusive mancher Politiker Gegenteiliges behaupten – längst Konsens in der internationalen Klimaforschung. „Konsens“ im Sinne von: so unumstritten wie unter Paläontologen die Evolution – manche leugnen sie, aber Fachleute (und nicht nur diese) schütteln dann nur fassungslos den Kopf.

Daher fordern Klimaforschende schon seit Jahrzehnten, dass wir möglichst schnell den Umstieg auf Klimaneutralität schaffen müssen – damit vorrangig eine ausgeglichene CO2-Bilanz. Während viele bei dem komplexen und beunruhigenden Thema nach wie vor den Kopf in den Sand stecken, hat sich in Enge-Sande ein IT-Anbieter zur CO2-Neutralität bereits umfassend Gedanken gemacht: Windcloud (offiziell „Windcloud 4.0 GmbH“).

Kühle Brise

Die augenfälligste Besonderheit des nachhaltigen Rechenzentrums: Auf dem RZ-Dach züchtet Windcloud in einem Gewächshaus Algen, geeignet zur Verwendung in Kosmetika oder als Nahrungsergänzungmittel. Die Algen binden CO2 und begrünen damit nicht nur das Ambiente des Konferenzzimmers neben dem Algenpool, sondern auch die CO2-Bilanz der hauseigenen Colocation- und Cloud-Services.

Ritter nennt dies „lokale Abwärmeveredelung“: „Das Kühlkonzept ist freie Kühlung. Wir leiten die gesamte Abwärme der Server ins Gewächshaus.“ Dafür sei der nordseenahe Standort hervorragend geeignet: In Enge-Sande sei es zwei Grad kühler als in einer Metropolregion, so Ritter mit mentalem Seitenblick auf den Ballungsraum Frankfurt, wo sich diverse Rechenzentren möglichst nahe um den Internetknoten DE-CIX drängen.

Das Windcloud-RZ beherbergt laut Ritter auf 240 Quadratmetern Grundfläche 28 Racks mit einer Gesamt-IT-Last von 80 kW und 85 kW Abwärme. Mit jüngst noch sieben, demnächst acht Mitarbeitern, so der Windcloud-Chef, versorge man über 200 B2C-Kunden, darunter Schulen und Arztpraxen, zudem acht Colocation- und „über zehn“ Enterprise-Cloud-Kunden. Ans Internet angebunden ist Windcloud laut eigenen Angaben mit 1 TBit/s, die garantierte Hochverfügbarkeit liegt bei 99,95 Prozent für die Cloud-Services und 99,99 Prozent für die RZ-Infrastruktur. Dazu ist das RZ an zwei Trafos angeschlossen: einer des „GreenTEC-Campus“, in dem Windcloud ansässig ist, zudem der lokale Standard-Trafo, beide unter der Ägide des regionalen Netzbetreibers SH Netz.

Mit seinen 240 Quadratmetern ist Windcloud im Vergleich zu den Goliaths der Branche nur ein David – allein Equinix’ neues Griesheimer Rechenzentrum FR8 kommt laut dem Colocation-Giganten auf 4.800 Quadratmeter. Doch dass das RZ in Enge-Sande der Rubrik „klein, aber fein“ angehört, ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass der 2018 gegründete Provider ein Startup-Unternehmen ist: Vielmehr ist auch das Gebäude selbst Teil des Nachhaltigkeitskonzepts. Denn Equinix’ FR8 ist, wie branchenüblich, ein Neubau und hat somit allein dadurch Unmengen grauer Energie verschlungen und entsprechende Mengen CO2 produziert.

Windclouds RZ- und Verwaltungsgebäude hingegen war in einem früheren Leben das Offiziersheim des ehemaligen Bundeswehr-Munitionsdepots in Enge-Sande, das heute den GreenTEC-Campus beherbergt. Ein solches „Upcycling“ vorhandener Gebäudestrukturen vermeidet nicht nur einen großen Teil der Kosten, sondern auch des CO2-Ausstoßes eines RZ-Neubaus.

Gegenwind

Einfach war es laut Wilfried Ritter nicht, das Offiziersheim in ein RZ umzuwidmen. Schließlich will da der deutsche Amtsschimmel ein Wörtchen mitwiehern. Das Problem: Die Bundeswehr agiert außerhalb der Zuständigkeit lokaler Behörden. So musste Windcloud zuerst einmal nachträglich Bebauungspläne für sein Gebäude in Enge-Sande erstellen lassen, danach erst konnte das Startup die Nutzungsänderung genehmigt bekommen.

Derzeit läuft dieser bürokratische Prozess für zwei oberirdische Bunker mit dazwischen liegendem Gewächshaus am zweiten Standort im benachbarten Bramstedtlund. Die Stromversorgung soll dort künftig direkt durch lokale Windanlagen erfolgen. Dazu hat Windcloud das Anwesen an den örtlichen Energiepark veräußert und will es bei Inbetriebnahme des RZs zurückpachten, um nicht selbst als Energieversorger auftreten zu müssen.

Für die Zukunft hat Windcloud weitere interessante Pläne, der RZ-Betreiber ist laut Ritter an mehreren Förderausschreibungen beteiligt. Im Fokus stehe dabei die Flexibilisierung von Lasten. Das Mittel der Wahl: dezentrale RZ-Einheiten, bei denen man Container zu Clustern verbindet.

„Wir verzichten auf bauliche Redundanz, sondern schließen einfache RZ-Container über einen Backbone-Ring zusammen“, erläutert der Windcloud-Chef. „Jede kompakte RZ-Zelle hängt mit ihrer eigenen Last direkt an einem eigenen Umspannwerk, also befreit von Netzentgelten der Stromversorger. Die IT-Last lässt sich dabei nach Bedarf zwischen den Containern verschieben.“

Zur Abwärmenutzung ist an den Container eine Schnittstelle vorgesehen, über die Wasser mit 40 bis 50°C zur Verfügung steht. Der Fokus liegt dabei laut Ritter auf HPC-Anwendungen (High-Performance Computing). Kommt dabei aktive Wasserkühlung zum Einsatz, stehe sogar 60°C heißes Wasser zur Nachnutzung bereit.

Im RZ-Segment ist laut Wilfried Ritter echte CO2-Neutralität eine Herausforderung. Dabei gehe es nicht nur um den PUE-Wert, sondern vielmehr generell um Effizienz im Umgang mit Ressourcen. Vorrangiges Ziel: „Man muss die Energieversorgung der Rechenzentren grün bekommen“, fordert er. Für ein nachhaltiges RZ kämen neben Schleswig-Holstein viele weitere Standorte in Frage. Doch er mahnt: „Mit dem Thema Energie lässt sich der Großteil des CO2-Einsparpotenzials realisieren, aber auch Nutzer und Applikationen müssen sich anpassen, um Nachhaltigkeit zu erreichen.“

Das Ziel hierzulande müsse eine Kreislaufwirtschaft sein – „die Ingenieurskunst dafür haben wir in Deutschland eigentlich“, betont Ritter. Er nannte im LANline-Interview diverse Hebel, die man dafür in Bewegung setzen kann: Dies könnten intelligente und damit energiesparende Speicher- und Backup-Konzepte sein (also Software-Defined Storage mit Deduplizierung), ebenso die Umwidmung alter Bausubstanz in RZs – „grundsätzlich eignet sich dafür jedes Industriegelände und jede Werkshalle“, so Ritter – sowie die Einbindung von Datacenter-Kapazitäten als Quelle für die Fernwärmeversorgung schon bei der Stadtplanung.

Außerdem werde die Konsolidierung von RZ-Infrastuktur künftig einen wichtigen Faktor darstellen: „85 Prozent der IT-Kapazitäten sind noch on-premises in den Unternehmen“, so Ritter, „und sie sind oft veraltet und ineffizient.“ Hier lasse sich durch Colocation oder Cloud Computing die Effektivität der IT bis zu verfünffachen, werde doch traditionelles lokales IT-Equipment oft nur zu 15 Prozent genutzt. Für Vertrieb und Vermarktung seiner eigenen Cloud- und Colocation-Services setzt Windcloud auf diverse Partnerschaften mit ähnlich ökologisch orientierten Unternehmen, um gemeinsam eine nachhaltige Wirtschaft zu etablieren.

Fahrtwind

Unternehmen stehen heute zunehmend unter Druck, sich mit klarem Fokus auf Nachhaltigkeit zu positionieren und möglichst schnell CO2-Neutralität zu erreichen. Abfedern werden die Unternehmen dies teils durch eigene Optimierungsmaßnahmen, teils durch CO2-Zertifikatshandel – die moderne Version des mittelalterlichen Ablasshandels, und häufig ebenso wirksam – oder durch andere „Carbon Offset“-Initiativen; einen weiteren Teil dieses Drucks werden sie an ihre Zulieferer weitergeben – darunter nicht zuletzt ihre IT-Provider.

Vor diesem Hintergrund dürften RZ-Betreiber wie Windcloud, die sich mit intelligenten Konzepten und damit vor allem glaubhaft um Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität bemühen, künftig im Trend liegen. Die weiteren Aussichten für das Marktsegment nachhaltiger IT-Services: Rechnen Sie mit Rückenwind.

(Dieser Beitrag erschien erstmals in LANline 11/2021.)

Bild: Dr. Wilhelm Greiner