In COVID-19-Zeiten mussten die Unternehmen einen Balanceakt vollführen: Wie Drahtseilkünstler hoch oben in der Zirkusarena mussten sie ständig zwischen den Gesundheitsbedürfnissen ihrer Beschäftigten und ihren Produktivitätsanforderungen abwägen. Dank Remote-Work-Technik konnten sich zahlreiche Unternehmen schnell umstellen – manche buchstäblich über Nacht. Eine Unternehmenskultur lässt sich allerdings nicht ruckartig umkrempeln. Und so hinkt die Transformation von der Präsenz- zu einer Remote-Work-gerechten Vertrauenskultur noch hinterher, wie eine aktuelle VMware-Umfrage bestätigt.
Für den Report „The Virtual Floorplan: New Rules for a New Era of Work“ (Der virtuelle Raumplan: Neue Regeln für eine neue Ära der Arbeit) ließ VMware 7.600 Beschäftigte aus Organisationen mit über 500 Mitarbeitern in 20 Ländern befragen, darunter 584 aus Deutschland. Ergebnis: Remote Work verändert die Arbeitswelt – und mehr persönlicher Austausch könnte dem Geschäftserfolg förderlich sein, mehr Überwachung hingegen eher schaden.
Rund drei Viertel (74 Prozent) der befragten Manager gaben an, seit Beginn der Telearbeitswelle mehr Zeit für den persönlichen Austausch mit Beschäftigten aufzuwenden. In Unternehmen mit großem Wachstum lag dieser Wert bei 80 Prozent, bei unterdurchschnittlich erfolgreichen Firmen hingegen nur bei 64 Prozent – eine spannende Korrelation, auch wenn man hier nicht gleich eine Kausalität unterstellen sollte.
Ebenfalls interessant: Die Frage, ob sich die Beziehung der Befragten zur Mehrzahl ihrer Kolleginnen und Kollegen seit der Umstellung auf Telearbeit verbessert hat, beantworteten 72 Prozent der Befragten mit „ja“, sofern sie in einem Unternehmen tätig sind, in denen die Führungsebene die kulturelle Transformation der Arbeit vorantreibt. Verbleibt diese Aufgabe beim mittleren Management, lag der Wert nur bei 61 Prozent.
Ähnliche Zahlen ergaben sich bei der Frage, ob sich die Zusammenarbeit in Remote-Work-Zeiten verbessert hat: 76 Prozent bejahten dies in Unternehmen, in denen das Management mehr Zeit für das Team-Building aufwendet, aber nur 53 Prozent in Unternehmen, in denen dies nicht der Fall ist. Aber selbst hier gab immerhin gut die Hälfte der Befragten an, die Zusammenarbeit habe sich in Zeiten der Telearbeit verbessert.
Der Report weist darauf hin, dass nach landläufiger Meinung räumliche Nähe der wichtigste Faktor für eine gute Kommunikation am Arbeitsplatz ist: Laut der „Allen-Kurve“, entwickelt in den 1970er-Jahren vom MIT-Professor Thomas Allen, kommunizieren Personen, die mehr als zehn Meter voneinander entfernt sitzen, weitaus seltener miteinander und könnten ebenso gut für verschiedene Unternehmen arbeiten. Das Aufkommen eines „virtuellen Grundrisses“, so VMware, schaffe nun jedoch neue Regeln und neue Möglichkeiten für Führungskräfte, ihre Organisationen voranzubringen.
Jenseits der Allen-Kurve
Vier von fünf der Beschäftigten hierzulande waren der Meinung, dass sie dank Remote-Work-Technik effizienter arbeiten können als zuvor. Zeitgleich verschärft die Mehrheit (60 Prozent) der deutschen Unternehmen ihre Kontrollmechanismen in der aufkommenden Hybrid-Work-Ära. 20 Prozent der befragten deutschen Unternehmen haben seit der Umstellung auf hybride Arbeitsformen Device-Monitoring-Systeme zur Kontrolle der Mitarbeiterproduktivität eingeführt. 23 Prozent gaben an, sich gerade in der Einführungsphase solcher Lösungen zu befinden, weitere 16 Prozent bekundeten, dies sei geplant.
Zu diesen Maßnahmen zählen das Monitoring von E-Mails und Collaboration Tools (jeweils 41 Prozent) sowie des Web-Browsings (30 Prozent). 29 Prozent der Befragten aus deutschen Unternehmen gaben an, es sei eine Software zur Bestimmung der geografischen Lokation im Einsatz, 30 Prozent berichteten von Video-Monitoring. Ein Tracking der Aufmerksamkeit über Videokameras und eine Keylogger-Software gibt es laut der Umfrage ebenfalls bei jeweils 25 Prozent der deutschen Unternehmen ab 500 Beschäftigten.
34 Prozent der deutschen Unternehmen, die bereits ein Geräte-Monitoring eingeführt haben, sowie 45 Prozent derer, die gerade damit befasst sind, meldeten in der Umfrage allerdings eine erhöhte oder gar drastisch erhöhte Fluktuation in der Belegschaft. Im internationalen Schnitt liegen diese Werte in ähnlichen Gefilden: bei 39 beziehungsweise 41 Prozent.
Unabhängig von der Frage, ob Überwachungsmaßnahmen wie Keylogging Sinn ergibt, stellt sich die Frage, inwieweit sie im „Work from Home“-Umfeld mit Ansprüchen an Datenschutz und Privatsphäre vereinbar sind. Aber für die juristische Diskussion dieser Problematik ist die LANline nicht das geeignete Forum.
Die Umfrageergebnisse deuten jedenfalls laut VMware darauf hin, dass Unternehmen bei der Suche nach neuen Wegen, die Leistung ihrer Remote-Belegschaft zu bewerten, ein Gleichgewicht finden müssen: „Weltweit beobachten wir, dass Unternehmen dauerhaft zu hybriden Arbeitsmodellen übergehen, bei denen die Mitarbeiter nicht ständig im Büro sein müssen. Angesichts dieses Wandels sollten Arbeitgeber mit Vorsicht vorgehen, wenn sie die Anwesenheit von Mitarbeitern durch Überwachungs-Tools ersetzen“, kommentierte Ralf Gegg, Head of Sales, End-User Computing Division bei VMware. „Ein Mangel an Transparenz, heimliche Messungen und versteckte Kontrolle können das Vertrauen der Mitarbeiter schnell untergraben und dazu führen, dass talentierte und motivierte Mitarbeiter in einem hart umkämpften und herausfordernden Qualifikationsmarkt lieber kündigen.“
Die Umfrage erfolgte durch das Marktforschungsunternehmen Vanson Bourne im Juli und August 2021 in UK, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Russland, Polen, Norwegen, Schweden, Spanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, den USA, Kanada, Japan, Australien, Indien, China, Singapur und Südkorea. Die Befragten waren zu jeweils einem Viertel Business-, IT- und HR-Führungskräfte sowie einfache Angestellte. Die Unternehmen wiederum hatten zu jeweils ungefähr einem Viertel bis zu 1.000, 3.000, 5.000 oder noch mehr Beschäftigte.
Es bleibt abzuwarten, welchen Betrieben in welchen Ländern der Drahtseilakt, die Interessen des Unternehmens mit denen der Belegschaft in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen, am besten gelingen wird. Im Zeitalter der hybriden, geografisch zunehmend verteilten Arbeit wird es jedoch wohl nötig sein, von einem taktischen Vorantasten auf dem Hochseil zu einer neuen strategischen Balance zu gelangen.
(Dieser Beitrag erschien erstmals in LANline 02/2022.)
Bild: VMware