Linienverkehr für den Wolkenflug

„Irgendjemand wird das, was Cisco on-premises ist, in der Cloud sein“, so Aviatrix-CEO Steve Mullaney gegenüber LANline – womit dann auch das Ziel des 2019 gegründeten Startups umrissen ist. Mullaney weiß, wovon er spricht: Der IT-Veteran war einst CEO des Startups Nicira, dessen Software seit der Akquisition durch VMware die Basis für die VMware-Netzwerkvirtualisierung NSX bildet. Mit Aviatrix (auf Deutsch: Pilotin) will er nun auf ähnliche Weise die Wolkenwelt revolutionieren: Die Aviatrix Cloud Network Platform soll das Netzwerk-OS der Multi-Cloud werden.

„Der Schwerpunkt liegt heute in der Cloud“, sagt Steve Mullaney über die heutige Enterprise-IT-Architektur. Dies stelle IT-Organisationen vor eine Herausforderung: „Unternehmen mussten seit den 1980er-Jahren keine Architekturarbeit mehr leisten“, so der Aviatrix-Chef mit Blick auf die damalige Transformation der IT, nämlich den Wechsel von Mainframes zum verteilten Personal Computing. Heute habe ein größeres Unternehmen verschiedene Public Clouds im Einsatz (die „Multi-Cloud“), zudem seine lokale Private Cloud. „Ich will aber (als Unternehmen, d.Red.) keine fünf verschiedenen Architekturen“, so Mullaney.

Das aktuelle IT-Dilemma beschreibt er so: Fachabteilungen setzen auf die Cloud für mehr Agilität und Skalierbarkeit, Entwickler wollen dort schnell zu ihren Apps kommen – doch die IT pocht bei all dem wolkigen Treiben verständlicherweise auf Kontrolle, Sicherheit und Governance. Das Problem: „Clouds sind prinzipbedingt ‚Black Boxes‘, so Mullaney, „sie bieten weder Visibilität noch Kontrolle.“ Dieses Spannungsfeld will Aviatrix auflösen, bevor sich das Donnergrollen beider Seiten in einem Gewitter entlädt.

Dieses Kunststück soll die Aviatrix Cloud Networking Platform vollbringen: Sie ist dafür konzipiert, bei der Public-Cloud-Nutzung die wolkenverhangene Transparenz und Kontrolle zurückzugewinnen. Als konsistentes globales Netzwerk soll sie jene Netzwerk-, Sicherheits- und Betriebsfunktionen in Multi-Cloud-Architekturen einbringen, die aus Governance-Sicht erforderlich, aber beim Blindflug in die Wolken oft aus dem Blick geraten sind.

Die Funktionsweise: Aviatrix nutzt laut Mullaney die öffentlichen APIs der Cloud-Anbieter und schafft über die Clouds hinweg eine Overlay-Infrastruktur – die Nicira-Historie lässt grüßen, bildet doch Netzwerkvirtualisierung à la NSX ein ähnliches Overlay für die Vernetzung virtualisierter Compute- und Speicherressourcen. Durch diese Cloud-Abstraktionsschicht entstehe eine private Netzwerkinfrastruktur auf der Basis diverser Public-Cloud-Infrastrukturen. Die nötige Sichtbarkeit, Kontrolle und unternehmensweite Steuerung (also Governance) erhalte man durch eine Cloud-übergreifende Verwaltungsebene und ein einheitliches Management-Interface („Single Pane of Glass“).

Pilotin mit vielen Begabungen

Die Aviatrix-Plattform soll nach Angaben des Startups eine Fülle von Vorteilen bieten: Für den Multi-Cloud-Netzwerkbetrieb liefere sie alles vom zentralisierten Controller über einen Terraform-Provider für die IaC-Automation (Infrastructure as Code) bis zur Netzwerkanalyse mittels FlowIQ; für das intelligente Multi-Cloud-Networking unter anderem Hochverfügbarkeit, dynamische Pfadwahl und Programmierbarkeit via APIs; und für die Sicherheit Dinge wie End-to-End-Verschlüsselung oder eine zentralisierte Ingress- und Egress-Zugriffskontrolle.


Zugleich beseitige die Aviatrix-Plattform Limitierungen der Cloud-Provider. So skaliert die Verschlüsselungs-Performance in der Public Cloud laut Mullaney nur bis 1,5 Gbit/s, das hauseigene Overlay-Netzwerk stemme hingegen auch verschlüsselten Verkehr mit 70 oder gar 80 Gbit/s. In Kürze, so Mullaney, werde man die Security-Funktionalität um eine Machine-Learning-basierte Verhaltensanalyse ergänzen. Mit dem historischen Verkehrsprofil als Basis könne die Plattform dann bei auffälligem Verhalten Alarme aussenden oder die Verbindung blockieren.

Aviatrix zielt laut Mullaney auf die 3.000 größten Unternehmen weltweit – allerdings nicht nur auf jene, die alles einsetzen, was die muntere Schar der Public-Cloud-Giganten zu bieten hat: „Von unseren über 500 Anwenderunternehmen nutzen ungefähr 50 Prozent nur eine einzige Public Cloud“, schätzt Mullaney. In den USA sei dies vorrangig AWS, in Deutschland vor allem Microsoft Azure. Der Hintergrund: Mullaney geht davon aus, dass die Multi-Cloud künftig der Standard für den IT-Betrieb sein wird – Unternehmen, die bislang nur Azure oder AWS heranziehen, sind für ihn also erst am Anfang ihrer Flugreise in einen erheblich wolkigeren Himmel.

Die Lizenzierung der Aviatrix-Plattform hängt von der Nutzung ab, genauer: von der Zahl der verschlüsselten Tunnel, die Aviatrix verwaltet. Für den Vertrieb setzt der Anbieter – neben den App Stores der Hyperscaler – hierzulande auf den Managed-Service-Provider SVA. Ein Ausbau des Channels sei geplant, so Mulvaney, aber nur mit einer „ausgewählten Gruppe“ von Partnern. Man arbeite weltweit mit acht Partnern, die Zahl könne sich dieses Jahr „vielleicht verdoppeln“. Offenbar folgt Aviatrix dem Motto: Zu viele Piloten verderben den Flug.

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(Dieser Beitrag erschien erstmals in LANline 04/2022.)

Bild: (c) Wolfgang Traub