Datenlos durch die Nacht

YouGov befragte im Auftrag von HPE 803 Führungskräfte aus der DACH-Region zu ihrer Datenstrategie und der Wertschöpfung, die sie aus Daten erzielen. Die Ergebnisse sind – man ahnt es irgendwie – eher ernüchternd: In einem von HPE entwickelten Reifegradmodell kommen die befragten Unternehmen auf der Skala von eins bis fünf (mit fünf als Bestwert) im Schnitt nur auf magere 2,1 Punkte. Hilfreich: Man kann das Reifegradmodell für ein Online-Self-Assessment nutzen.

Durchschnittliche Kundenbewertung für „Feld“: 4,4 Sternchen. Wird oft zusammen gekauft: „Feld“ und „Wald“. Kunden, die „Feld“ angesehen haben, haben auch angesehen: „Wald“ und „Wiese“. Derlei Auskünfte kennen Nutzer von Jeff Bezos’ Weltraumflug-Finanzierungsmaschine Amazon – genauer: von der Consumer-Seite des Bezos’schen Cloud-Imperiums, denn die konsumentenabgewandte Seite des Himmelskörpers – das nicht minder wichtige Public-Cloud-Business von AWS – bleibt dem Feld-, Wald- und Wiesen-Konsumenten in der Regel verborgen.

Datenauswertungen à la Bewertungsdurchschnitt, Produktkombination und Seitenaufrufe kann natürlich jeder Online-Händler einfach per Klick-Tracking und BI-Lösung (Business Intelligence) durchführen, obschon nicht unbedingt in amazonischer Größenordnung. Doch die Macht der Datenanalyse reicht schon längst erheblich weiter.

Aufsehen erregte in grauer Vorzeit (2012) folgender Fall: Der US-Handelsriese Target sandte, damals noch per Post, einer Teenagerin Werbung für Babykleidung zu – was deren Vater, der die Sendung engegennahm, sehr erzürnte, zumal er von der Schwangerschaft noch nichts wusste. Basis der Zusendung war eine Big-Data-Analyse des leicht veränderten Kaufverhaltens schwangerer Frauen. Target konnte dadurch seine Werbung schon frühzeitig auf den zu erwartenden Nachwuchs und die zu erwartende Nachfrage abstimmen – und einem Algorithmus ist es eben egal, ob die Frau oder deren Familie von der Schwangerschaft schon Kenntnis haben oder nicht.

Heute, knapp ein Jahrzehnt später, sind Rechnersysteme viel leistungsstärker und zugleich preiswerter, KI-Auswertungen dadurch noch mächtiger und stärker verbreitet. So nutzt zum Beispiel Amazon – selbst Betreiber einer der weltgrößten Public-Cloud-Rechnerverbünde – KI, nicht zuletzt für die Spracherkennung und -ausgabe der digitalen Assistenzfunktion Alexa, und somit für alles von Produktbestellungen bis hin zu den alltäglichen Auskünften der Nutzer, etwa über anstehende Termine. So lernt die KI das Anwenderverhalten, erschließt die Intentionen der Kundschaft und kann entsprechend früh reagieren. Das mag man hilfreich oder bedrohlich finden, glasklar ist: Die Ökonomie hat sich zur Datenökonomie gewandelt, und Datenanalysen dringen immer tiefer in die Alltagswelt von Verbrauchern und Unternehmen vor.

Glasrausch

Der gläserne Konsument zum Zwecke der Immer-noch-mehr-Konsum-Förderung ist dabei aber nur ein Einsatzfall von vielen. Das Use-Case-Spektrum der Datenanalysen reicht vom immer wieder zitierten Beispiel der vorausschauenden Wartung der Maschinen und Anlagen in der Industrie über die KI/ML-basierte (Machine Learning) optische Qualitätskontrolle und das ML-Training von Robotern bis hin zur Früherkennung von Krankheiten oder der Massendatenauswertung zur Entwicklung neuer Arzneimittel. Als Beispiel nennt HPE gerne Kaeser Kompressoren. Der Coburger Anbieter nutzt Echtzeit-Datenanalysen, um mittels prädiktiver Wartung die Ausfallzeit seiner Kompressoren zu minimieren – und konnte auf dieser Datenbasis sogar ein neues Geschäftsmodell entwickeln: Compressed Air as a Service, also Druckluft auf Abruf.

Das Beispiel zeigt: In den Daten schlummert enormes Potenzial. Kein Wunder also, dass die Europäische Kommission in ihrem Positionspapier zur europäischen Datenstrategie feststellte: „Daten sind die Lebensader der wirtschaftlichen Entwicklung.“ Und kein Wunder, dass Unternehmer aller Couleur beim Gedanken, von diesem Gold- oder besser Datenrausch profitieren zu können, glasige Augen bekommen.

Doch sind längst noch nicht alle Unternehmen in der Lage, ihre Datenbestände in Gewinne umzumünzen. Die Gretchenfrage lautet daher: „Alexa, wie schaffen es Unternehmen, von der Datenökonomie zu profitieren?“

Reifegradmodell

Um den Unternehmen hier Orientierung zu verschaffen, hat HPE ein Reifegradmodell zur Datennutzung entwickelt. Den Reifegrad erfasst HPE anhand von sechs Dimensionen: Strategie, Organisation, Ökosystem, Datenlebenszyklus, Analytics/KI sowie Betrieb. Das Modell teilt die datenmonetarisierungswillige Unternehmensschar in fünf Stufen ein. Auf der ersten Stufe – von dem Konzern in ganz HPE-untypischer Dramatisierung „Datenanarchie“ genannt – findet man Datensilos, also applikationsbezogene Dateninseln ohne übergreifende systematische Auswertung. Die Daten stehen anderen Anwendungen nicht oder nur über individuelle Schnittstellen zur Verfügung.

Auf Stufe zwei („Daten-Reporting“) gibt es schon anwendungsübergreifende Data Warehouses, während BI-Anwendungen (Business Intelligence) prozessbezogen Erkenntnisse aus den Daten ziehen. Auf Stufe drei („Datenerkenntnisse“) erfasst das Unternehmen die Daten ganzheitlich, es gibt erste Ansätze für KI/Advanced Analytics nebst einer Data Governance (also Methoden und Werkzeuge, um den Datenraum einheitlich zu managen und zu kontrollieren).

Auf Stufe vier findet man Unternehmen, die sämtliche hauseigenen Daten in Echtzeit zu einem digitalen Zwilling des Unternehmens zusammenführen, sowie Analyseanwendungen und Apps, um auf alle notwendigen Daten zugreifen zu können. Stufe fünf – die Königsdisziplin der „Datenökonomie“ – umfasst dann das Publizieren und Konsumieren (Push und Pull) von Echtzeitdaten und den bidirektionalen Datenaustausch mit Partnern im Rahmen eines Daten-Ökosystems.

Umfrage zur Datenstrategie

Die gute Nachricht: HPE hat hier Punkt für Punkt eine Vorgehensweise markiert, mit der Gretchen den Weg durch den Datenwald finden kann. Die schlechte: Bei einer Umfrage kamen die rund 800 befragten Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Schnitt gerade mal auf einen Reifegrad von 2,1. Kleinere Unternehmen (mit bis zu 250-köpfiger Belegschaft) erzielten sogar nur den Wert 1,7. Bei den größeren lag der Schnitt entsprechend bei 2,5. Zwischen den drei Ländern gab es keine nennenswerten Unterschiede.

Das Marktforschungsunternehmens YouGov hatte im HPE-Auftrag 803 Führungskräfte (Geschäfts-, Bereichs-, Team- oder Abteilungsleitung) befragt. Die Befragten kamen je zur Hälfte aus Unternehmen bis zu 250 Beschäftigten und solchen mit größerer Belegschaft. 37 Prozent aller befragten Führungskräfte und 65 Prozent der Geschäftsführer gaben zu Protokoll, ihr Unternehmen habe gar keine Datenstrategie, auch nicht als Teil der IT-Strategie.

Die Hälfte aller Befragten und 75 Prozent der Geschäftsführer erklärten, ihr Unternehmen kümmere sich nicht systematisch darum, datenbasierte Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt zu bringen. Und zwei Drittel der Befragten sowie 85 Prozent auf Geschäftsführungsebene bekundeten, dass in ihrem Unternehmen keine Analytics- oder KI-Methodiken zum Einsatz kommen, sondern lediglich Auswertungen mittels der guten alten Tabellenkalkulation.

Klammer auf – ein Hinweis zu diesen Ergebnissen: Die heftigen Diskrepanzen zwischen den Geschäftsführern oder Vorständen einerseits und den übrigen Führungskräften andererseits ist nicht so zu deuten, dass man in der Führungsspitze die Situation des eigenen Unternehmens ganz anders einschätzen würde als auf Fachabteilungsebene. Vielmehr kommen die befragten Geschäftsführer fast ausschließlich aus der Gruppe der kleineren Unternehmen und, wie HPE auf Rückfrage erläuterte, nur zu fünf Prozent aus jener der größeren. Die negativeren Werte bei den Geschäftsführern sind damit dem Umstand geschuldet, dass kleinere Firmen eben ein Stück schlechter abgeschnitten haben als die des gehobeneren Mittelstands und darüber, ohne aber mit der Gegenüberstellung der Unternehmensgrößen deckungsgleich zu sein. Umfrageauswertungen sind eben tückisch. Klammer zu.

Die Aufschlüsselung nach Unternehmensgröße zeigt, wie sehr kleinere Unternehmen hinterherhinken: Auf der Stufe der Datensilos oder „Datenanarchie“ befanden sich 15 Prozent der Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern, aber über die Hälfte (52 Prozent) der kleineren. Die Stufe Daten-Reporting haben 37 Prozent der größeren Unternehmen erreicht und immerhin 32 der kleineren. Aber auf der Datenerkenntnis-Stufe liegen die größeren Unternehmen dann schon deutlich vorn: mit 37 versus 13 Prozent.

Auf dem Weg das Reifegrad-Treppchen hinauf wird die Luft bei beiden Gruppen dünner: Die datenzentrische Stufe haben neun Prozent der größeren und nur zwei Prozent der kleineren Firmen erreicht. Teil der Datenökonomie sind laut der Umfrage drei Prozent der größeren und nur ein Prozent der kleineren Unternehmen.

Auf technischer Ebene bedeutet das zum Beispiel: Fast die Hälfte (49 Prozent) der Befragten gaben an, dass ihre Daten nur den jeweiligen Applikationen zur Verfügung stehen. Rund ein Viertel (26 Prozent) versammeln die Daten aus mehreren Applikationen in einem Data Warehouse, aber nur jedes achte (zwölf Prozent) verfügt über einen Data Lake.

Eine zentrale Datendrehscheibe (Data Hub), die einen digitalen Zwilling des Unternehmens auf Basis von Echtzeitdaten abbildet, haben nur sieben Prozent der befragten Unternehmen; und nur bei schlappen sechs Prozent der Befragten schließt diese Datendrehscheibe auch externe Datenquellen mit ein, in HPEs Reifegradmodell ein Kriterium für echte Datenökonomie-Reife.

Die eher bodennahe Verteilung der Befragten auf den Reifegradstufen spiegelt sich quer durch die Fragestellungen, zum Beispiel bei der Frage, ob das Unternehmen ein Budget für strategische Investitionen im Bereich der Dateninitiativen zur Verfügung stellt. 44 Prozent sagten, es sei kein spezifisches Budget für Dateninititativen vorgesehen. Bei 24 Prozent gibt es einzelne Dateninitiativen, das Geld dafür kommt aus dem IT-Topf.

Bei weiteren 14 Prozent gibt es Budgets für Dateninitiativen im IT-Bereich mit zusätzlichen Beiträgen von Business- und IT-Seite. Zehn Prozent erklärten, man habe ein bereichsübergreifendes Budget für die hauseigene Datenstrategie, bereitgestellt durch den Vorstand beziehungsweise die Geschäftsführung. Aber nur die kleine Minderheit von acht Prozent konnte vermelden, Vorstand oder Geschäftsführung entscheide über die Datenstrategie für das gesamte Unternehmen inklusive strategischer Budgetzuweisungen. „Man muss lernen, dass die Datenstrategie Teil der Unternehmensstrategie werden muss“, kommentierte HPE-Experte Bernd Bachmann bei HPEs Online-Pressekonferenz zum Thema.

Landkarte und Kompass

HPE stellt auf der Basis seines Reifegradmodells ein Online-Self-Assessment zur Verfügung, mit dem Unternehmen den Reifegrad ihrer eigenen Datenwertschöpfung bestimmen und ihre Ergebnisse mit denen der Umfrageteilnehmer vergleichen können. Die detaillierten Ergebnisse pro Reifegraddimension sollen den Interessenten ein differenziertes Bild der eigenen Stärken und Schwächen verschaffen und so die Basis für die nächsten Entwicklungsschritte in Richtung Datenwertschöpfung liefern.

Dabei gilt es laut HPE, eine Stufe nach der anderen zu erklimmen: „Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg in die Datenökonomie, er erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der alle Facetten eines Unternehmens betrifft“, so Rainer Peters, Leiter der Business Solutions Group bei HPE in der DACH-Region. „Mit unserem Reifegradmodell und den Vergleichsdaten aus der Umfrage geben wir Firmen dafür eine Landkarte und einen Kompass an die Hand.“

Ein weites Feld

Im B2C-Markt zielen Datenanalysen vorrangig auf den gläsernen Konsumenten – aus Datenschutzsicht bedenklich; doch im B2B-Markt können die Algorithmen beweisen, dass sie wirklich Nutzen stiften können, von der echtzeitdatenbasierten Optimierung der Produktion bis hin zu neuen datengetriebenen Produkten oder gar Geschäftsmodellen. Datenökonomie ist ein weites Feld, doch vielen Unternehmen fehlt offenbar nach wie vor der Plan, um die vielen Blumen auf ihrer Datenwiese zu einem geordneten Strauß zusammenzuführen.

HPEs Self-Assessment soll dafür sorgen, dass man auf dem Weg zur Datenökonomie nicht den Wald vor lauter Bäumen aus den Augen verliert. Nützlich ist dabei, dass die Interessenten ihre Ergebnisse mit denen der befragten Unternehmen vergleichen können. Solche Vergleiche sind beliebt, schaffen sie doch Orientierung auf dem verschlungenen Waldweg zum sagenumwobenen Daten-Eldorado. Anders formuliert: Kunden, die sich für „Datenökonomie“ interessierten, interessierten sich auch für „Self-Assessment“.

(Dieser Beitrag erschien erstmals in LANline 12/2021.)

Bild: (c) Wolfgang Traub