Schneewittchen und die sieben Zwerge 4.0

1812: In Grimms Märchen bricht Schneewittchen ins Haus der sieben Zwerge ein, knabbert die Vorräte weg und legt sich dann aufs Ohr. Eiskalt. Die Zwerge heulen erst rum, finden sich dann aber damit ab und gehen wieder zum Malochen ins Bergwerk. Es gab eben damals noch keine Zwergengewerkschaft.

1937: Im Disney-Film Snow White and the Seven Dwarfs kommt Schneewittchen ins Haus der sieben Zwerge und macht erst mal großen Hausputz. Disney eben: Emanzipation kriegen wir später – sehr viel später. Das Hausfrauenleben erfüllt unsere Prinzessin aber nicht so recht: Kaum sind die Bergwerkzwerge wieder am Erzklopfen, pfeift sie sich Crystal Meth mit Apfelaroma rein und haut sich in die Kiste, um abzuwarten, bis ein Prinz in schimmernder Rüstung kommt und sagt: „Hey, schaust du aber gut aus! Willst du die Hauptrolle in meinem Remake von Snow White haben? Ich heiße übrigens Harvey. Harvey Weinstein.“ Oder was Prinzen halt so sagen.

2018: Im digitalen Zeitalter ist Schneewittchen kein Königskind, sondern ein Kind der Generation Internet. Sie muss gar nicht erst in die Zwergenhütte einsteigen, um den Kühlschrank zu plündern: Als Hacker-Prinzessin klappt sie nur ihr Notebook auf und meldet sich mit ihrem User-Namen HaXrPrince$$ an. (Hackernamen müssen im Märchen immer so Buchstaben- und Zahlenspiele enthalten, ein Fluch der bösen Hacker-Hexe.)

Auf zauberhaft verschleierten Wegen erkundet HaXrPrince$$ ihr Ziel: die Website des Hintersiebenberger Zwergenboten. Sie nutzt eine Schwachstelle des Webservers, um den Zwergenboten in eine Cryptojacking-Site zu verwandeln. „Cryptojacking“ klingt wie noch so’n Hackername, ist aber ein Kunstwort aus „Hijacking“ (Entführen, Kapern) und „Crypto-Mining“ (wörtlich: „Verschlüsselungsbergbau“ – gemeint ist das Errechnen oder „Schürfen“ digitaler Münzen wie etwa Bitcoins): Ruft nun ein Zwerg die Zwergenboten-Site auf, verzaubert Malware dessen Browser und zwingt seinen Rechner, für die Prinzessin Kryptomünzen zu schürfen.

Denn im digitalen Märchen entstehen Schätze einfach dadurch, dass Computer sehr, sehr schwierige Rechenaufgaben lösen – Zauberkraft verwandelt Braunkohle erst zu Strom und dann zu Gold. Bei Bitcoins ist das sehr, sehr rechenaufwendig – der Fluch der bösen Mathe-Fee: Das Schürfen strengt den Rechner so an, dass er raucht und Feuer speit. Unsere Prinzessin lässt die Zwergen-PCs deshalb nicht Bitcoins schürfen, denn dafür bräuchte sie gleich 7.000 Erzbergwerkzwerge mit riesigen PCs – sie nimmt lieber eine leichter zu erzaubernde Währung: Moneros. (Im Märchen müssen Coins immer ganz alberne Namen haben, noch so ’ne Hexenregel.)

Die Cryptojacking-Malware von HaXrPrince$$ ist tückenreich geschrieben: Sie versteckt sich und stiehlt die Rechenkraft der Zwergen-PCs nur in kleinen Teilen. Die Zwerge klagen zwar: „Oh, wie zäh geht plötzlich das Surfen, und die schnell springen die PC-Lüfter an!“ Und sie fragen sich: „Wer hat von meinen Browser-Cookies gegessen?“ Aber ein Achselzucken später stampfen sie schon wieder – „Hei-ho! Hei-ho!“ – unverdrossen zurück in die Crypto-Mine.

So besiegt HaXrPrince$$ die böse Mathe-Fee und wird zur Hacker-Queen. Von ihrem vielen Gold lässt sie sich zwei Tattoos stechen: auf die Knöchel der rechten Hand „HaXr“, links „Q33n“. (Ja, der Fluch gilt auch für Tattoos.) Und die sieben Zwerge? Na, was wohl. Wenn sie nicht gestorben sind, dann schürfen sie noch heute.

„Maloche im Bergwerk ist out, Crypto-Mining ist in“, so Dr. Robert Rattenheimer, Dozent für Digitalmineralogie an der Universität Bitburg.

(Dieser Text erschien erstmals im Jahr 2018 auf meinem damaligen Blog.)

Bild: (c) Wolfgang Traub